Ein Hauch von
Schachgeschichte: Gudmundur Thorarinsson
Am 23.09. war der Organisator
der legendären WM 1972, der Isländer Gudmundur Thorarinsson,
zu Gast in Oldenburg. Zum 50. Jubiläum des Wettkampfes hat er ein
Buch geschrieben, welches die Ereignisse aus seiner Sicht schildert. Der
gute Mann ist mittlerweile 83 Jahre alt, allerdings geistig und körperlich
fit wie ein Turnschuh. Der Nachmittag (es wurden gute zwei Stunden) war
aber mitnichten eine Lesung seines Buches, vielmehr war er in Oldenburg
im Rahmen der Aktion „Begegnungen“. Seit 2010 finden hier Veranstaltungen
betreffend Island statt.
Nun gibt es ja viele
Bücher über das Thema, auch wieder aktuelle Werke (ein empfehlenswertes
Buch von Gabor Karolyi), und diese verkaufen sich ja scheinbar recht gut.
Wenn nun jemand in Oldenburg ist, der mit dabei war, und zwar an vorderster
Front, und mit allen Akteueren interagierte, so sollte man meinen, dass
sich eine Menge Interessenten finden würden, sich mit dem Mann auszutauschen.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber sicherlich mehr als
die 12 Leute, die dann in der Alten Maschinenhalle am Pferdemarkt zusammenkamen.
Und hauptsächlich ältere Semester.
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Gudmundur Thorarinsson
in Oldenburg
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Thorarinsson spricht
gutes Deutsch, man lernt es wohl in Island in der Schule, aber er sprach
auf Bitten der Organisation auf Englisch. Dabei berichtete er von den Dingen,
die zwar auch in seinem Buch stehen, aber eben nochmal mit seinen eigenen
Worten. Das Publikum hing dabei gefesselt an den Lippen des Isländers.
Die Geschichte ist an sich unglaublich. Thorarinsson war in Abwesenheit
und ohne sein Wissen zum Präsidenten des isländischen Schachverbandes
gewählt worden, die Bewerbung für das Match hielt er für
sinnlos und war nur halbherzig dahinter. Und dann wählte überraschend
Spassky Reykjavik als seinen Vorschlag Nr. 1. Und Thorarinsson war zu seiner
Aufgabe gekommen wie die Jungfrau zum Kinde…
Das Match war dann
zwischen Jugoslawien und Island aufgeteilt worden, aber die Jugoslawen
sprangen letztlich ab, da ihnen das finanzielle Risiko zu hoch war. Kein
anderes Land wollte einspringen, letztlich blieb nur das kleine Island,
diese abgelegene Insel mit 300.000 Einwohnern. Hätten die Isländer,
so Thorarinsson, damals nicht den Mut gehabt, das Risiko einzugehen, wäre
Fischer möglicherweise niemals Weltmeister geworden.
Er meinte, das Match
konnte nur mit viel Glück und durch Zufälle überhaupt stattfinden.
Nachdem Fischer nicht zur Eröffnung und zur ersten Partie erschienen
war, ließ Spassky Thorarinsson kommen und meinte, das Match könne
nur auf höherer Ebene gerettet werden. So wandte sich Thorarinsson
an seine Politik, diese an die US-Botschaft, bis letztlich Kissinger (Nationaler
Sicherheitsberater) bei Fischer in New York anrief, was als einer der Gründe
gedeutet wurde, dass Fischer letztlich doch nach Island kam. Doch Spassky
war sauer: Nein, das Problem sollte auf höchster Ebene in Moskau,
nicht in Washington gelöst werden! Ein Mißverständnis,
man hatte Spassky wohl zurückbeordert. Und wieder ging Thorarinsson
an die Politik heran…
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Man saß
in lockerer Runde zusammen
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Es gab viele solcher
Zufälle. Thorarinsson schreibt sich selbst aber wenig zu, er wäre
nur eine Marionette gewesen, die zu der Musik anderer getanzt hätte.
Aber da hat der symphatische Isländer sein Licht gewaltig unter den
Scheffel gestellt. Thorarinsson wies auch auf die Brisanz durch die damalige
politische Lage hin, als die Welt in zwei Blöcke aufgeteilt war und
die geringste Regung auf der einen Seite zu Panik auf der anderen Seite
führte. Die Atombombe hing quasi imaginär immer über allen
Köpfen. Tja, könnte man da ergänzen, gut, dass sich heute
keine Atommächte mehr gegenüberstehen, sonst könnte man
ja nicht so an der Eskalationsspirale drehen, wie derzeit.*
Wo wir bei der Politik
sind: Die zweite faszinierende Geschichte drehte sich um die Befreiung
von Bobby Fischer, der 2004 in Japan inhaftiert wurde, da die USA seinen
Ausweis gesperrt hatten. Fischer hatte 1992 in Jugoslawien Schach gespielt
und gegen eine Direktive des US-Präsidenten verstoßen (nicht
gegen das UN-Embargo).** Für Thorainsson ein absolutes Unding. Ob
Fischer die 10 Jahre Haft in den USA bei den dortigen Bedingungen - Thorarinsson
sprach dies an - überlebt hätte, darf hart bezweifelt werden.
Und wieder war Island
das einzige Land, das es wagte, ein Risiko einzugehen, diesmal, sich den
mächtigen USA entgegen zu stellen. Entgegen allen Chancen gelang es
einem Komitee, mit Thorarinsson an der Spitze, Fischer nach Island zu holen,
wonach die US-Behörden stinksauer waren. Hier sprach der Moderator
eine Parallele zu Julian Assange an. Auch hier gab es einen Vorstoß
seitens Islands, eines der ganz wenigen Länder, die in dieser Sache
tätig wurden. Wikileaks hat seinen Hauptsitz auf Island, der Moderator
wies darauf hin. Thorarinsson war auch hier wohl involviert, aber zog sich
daraus zurück, bzw. das „Projekt“ wurde eingestellt.
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Der alte Mann
und der Isländer
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Thorarinsson stand
immer für Zwischenfragen zur Verfügung, aber seine Geschichte
war so fesselnd, dass kaum einer unterbrechen wollte. Im Vorfeld und auch
hinterher konnte man sich locker und zwanglos mit diesem einfachen und
bescheidenen, sehr gewitzten Mann unterhalten. Hier konnte ich auch ein
paar eigene Fragen an ihn loswerden und mich für seinen Einsatz für
das Schach und Bobby Fischer bedanken, was er sehr herzlich aufnahm. Für
mich war diese Begegnung einer der schönsten und auch ergreifensten
Momente, die ich in Verbindung mit dem Schachspiel erleben durfte.
Eine ertaunliche Parallele
wäre es noch gewesen, dass beide Spieler von 1972 später „Flüchtlinge“
hinsichtlich ihres jeweiligen Herkunftslandes gewesen seien („fugitives“).
Thorarinsson erwähnte auch mehrfach, welch ein Gentleman Spassky sei.
Spassky wäre auch einmal am Grab von Fischer gewesen, welches ja sehr
abgelegen in einem kleinen Ort liegt. Sehr bewegt hätte Spassky von
seinem Freund Bobby gesprochen und den Wunsch geäußert, einmal
neben ihm beerdigt zu werden. Was für ein Bild würde das sein,
meinte Thorarinsson…
frank modder, 24.09.2022
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Das Buch von Thorarinsson.
Pflichtlektüre.
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* Eine Bonus-Geschichte
in diesem Zusammenhang, die auch zeigt, wie sensibel man damals war: Bekanntermaßen
wurden nach geäußerten Verdächtigungen seitens der sowjetischen
Delegation um die 17. Partie herum die Stühle der Spieler untersucht.
Röntgenaufnahmen schienen einen verdächtigen Gegenstand in Fischers
Stuhl zu zeigen. Die Stühle wurden daraufhin auseinandergenommen,
isländische Polizisten bewachten den Vorgang. Dabei sprang ein Holzsplitter
aus Fischers Stuhl und landete genau vor den Füßen eines Polizisten
(wohl der verdächtige Gegenstand; der Stuhlhersteller erklärte
später die Anwesenheit solcher Splitter in Stühlen). Der Polizist
hatte Angst: Wenn sich da etwas findet, könnte es zum Matchabbruch
und zu Spannungen zwischen den Weltmächten führen. Also handelte
er sofort und stellte sich auf den Gegenstand. Die anderen Anwesenden suchten
somit verzweifelt und fruchtlos nach dem, was da aus dem Stuhl herausgesprungen
war… ( „The Police Officer“-Magazin, Reykjavik, 1997/1).
** Keine andere Person
ist wegen eines Verstoßes gegen die Executive Order 12810 angeklagt
worden. Dabei gab es sogar illegale Waffenlieferungen aus den USA in Richtung
Jugoslawien. Präsident Clinton schreibt darüber in seiner Autobiographie.
Dort heißt es in etwa, ja, das hätte man gewusst (über
die Waffenlieferungen), aber man hätte es nicht verfolgt, da sowieso
zu wenig Waffen in Jugoslawien gewesen wären. (Einar S. Einarsson,
„Freeing Bobby Fischer“, Ausgabe v. 2014).
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