- Begegnungen 2022: Island -
Oldenburg, 23.09.2022
 

Organisator der Schach-WM 1972 in Oldenburg
 
Ein Hauch von Schachgeschichte: Gudmundur Thorarinsson

Am 23.09. war der Organisator der legendären WM 1972, der Isländer Gudmundur Thorarinsson, zu Gast in Oldenburg. Zum 50. Jubiläum des Wettkampfes hat er ein Buch geschrieben, welches die Ereignisse aus seiner Sicht schildert. Der gute Mann ist mittlerweile 83 Jahre alt, allerdings geistig und körperlich fit wie ein Turnschuh. Der Nachmittag (es wurden gute zwei Stunden) war aber mitnichten eine Lesung seines Buches, vielmehr war er in Oldenburg im Rahmen der Aktion „Begegnungen“. Seit 2010 finden hier Veranstaltungen betreffend Island statt.

Nun gibt es ja viele Bücher über das Thema, auch wieder aktuelle Werke (ein empfehlenswertes Buch von Gabor Karolyi), und diese verkaufen sich ja scheinbar recht gut. Wenn nun jemand in Oldenburg ist, der mit dabei war, und zwar an vorderster Front, und mit allen Akteueren interagierte, so sollte man meinen, dass sich eine Menge Interessenten finden würden, sich mit dem Mann auszutauschen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber sicherlich mehr als die 12 Leute, die dann in der Alten Maschinenhalle am Pferdemarkt zusammenkamen. Und hauptsächlich ältere Semester.
 

Gudmundur Thorarinsson in Oldenburg

Thorarinsson spricht gutes Deutsch, man lernt es wohl in Island in der Schule, aber er sprach auf Bitten der Organisation auf Englisch. Dabei berichtete er von den Dingen, die zwar auch in seinem Buch stehen, aber eben nochmal mit seinen eigenen Worten. Das Publikum hing dabei gefesselt an den Lippen des Isländers. Die Geschichte ist an sich unglaublich. Thorarinsson war in Abwesenheit und ohne sein Wissen zum Präsidenten des isländischen Schachverbandes gewählt worden, die Bewerbung für das Match hielt er für sinnlos und war nur halbherzig dahinter. Und dann wählte überraschend Spassky Reykjavik als seinen Vorschlag Nr. 1. Und Thorarinsson war zu seiner Aufgabe gekommen wie die Jungfrau zum Kinde…

Das Match war dann zwischen Jugoslawien und Island aufgeteilt worden, aber die Jugoslawen sprangen letztlich ab, da ihnen das finanzielle Risiko zu hoch war. Kein anderes Land wollte einspringen, letztlich blieb nur das kleine Island, diese abgelegene Insel mit 300.000 Einwohnern. Hätten die Isländer, so Thorarinsson, damals nicht den Mut gehabt, das Risiko einzugehen, wäre Fischer möglicherweise niemals Weltmeister geworden.

Er meinte, das Match konnte nur mit viel Glück und durch Zufälle überhaupt stattfinden. Nachdem Fischer nicht zur Eröffnung und zur ersten Partie erschienen war, ließ Spassky Thorarinsson kommen und meinte, das Match könne nur auf höherer Ebene gerettet werden. So wandte sich Thorarinsson an seine Politik, diese an die US-Botschaft, bis letztlich Kissinger (Nationaler Sicherheitsberater) bei Fischer in New York anrief, was als einer der Gründe gedeutet wurde, dass Fischer letztlich doch nach Island kam. Doch Spassky war sauer: Nein, das Problem sollte auf höchster Ebene in Moskau, nicht in Washington gelöst werden! Ein Mißverständnis, man hatte Spassky wohl zurückbeordert. Und wieder ging Thorarinsson an die Politik heran…
 

Man saß in lockerer Runde zusammen

Es gab viele solcher Zufälle. Thorarinsson schreibt sich selbst aber wenig zu, er wäre nur eine Marionette gewesen, die zu der Musik anderer getanzt hätte. Aber da hat der symphatische Isländer sein Licht gewaltig unter den Scheffel gestellt. Thorarinsson wies auch auf die Brisanz durch die damalige politische Lage hin, als die Welt in zwei Blöcke aufgeteilt war und die geringste Regung auf der einen Seite zu Panik auf der anderen Seite führte. Die Atombombe hing quasi imaginär immer über allen Köpfen. Tja, könnte man da ergänzen, gut, dass sich heute keine Atommächte mehr gegenüberstehen, sonst könnte man ja nicht so an der Eskalationsspirale drehen, wie derzeit.*

Wo wir bei der Politik sind: Die zweite faszinierende Geschichte drehte sich um die Befreiung von Bobby Fischer, der 2004 in Japan inhaftiert wurde, da die USA seinen Ausweis gesperrt hatten. Fischer hatte 1992 in Jugoslawien Schach gespielt und gegen eine Direktive des US-Präsidenten verstoßen (nicht gegen das UN-Embargo).** Für Thorainsson ein absolutes Unding. Ob Fischer die 10 Jahre Haft in den USA bei den dortigen Bedingungen - Thorarinsson sprach dies an - überlebt hätte, darf hart bezweifelt werden.

Und wieder war Island das einzige Land, das es wagte, ein Risiko einzugehen, diesmal, sich den mächtigen USA entgegen zu stellen. Entgegen allen Chancen gelang es einem Komitee, mit Thorarinsson an der Spitze, Fischer nach Island zu holen, wonach die US-Behörden stinksauer waren. Hier sprach der Moderator eine Parallele zu Julian Assange an. Auch hier gab es einen Vorstoß seitens Islands, eines der ganz wenigen Länder, die in dieser Sache tätig wurden. Wikileaks hat seinen Hauptsitz auf Island, der Moderator wies darauf hin. Thorarinsson war auch hier wohl involviert, aber zog sich daraus zurück, bzw. das „Projekt“ wurde eingestellt.
 

Der alte Mann und der Isländer

Thorarinsson stand immer für Zwischenfragen zur Verfügung, aber seine Geschichte war so fesselnd, dass kaum einer unterbrechen wollte. Im Vorfeld und auch hinterher konnte man sich locker und zwanglos mit diesem einfachen und bescheidenen, sehr gewitzten Mann unterhalten. Hier konnte ich auch ein paar eigene Fragen an ihn loswerden und mich für seinen Einsatz für das Schach und Bobby Fischer bedanken, was er sehr herzlich aufnahm. Für mich war diese Begegnung einer der schönsten und auch ergreifensten Momente, die ich in Verbindung mit dem Schachspiel erleben durfte.

Eine ertaunliche Parallele wäre es noch gewesen, dass beide Spieler von 1972 später „Flüchtlinge“ hinsichtlich ihres jeweiligen Herkunftslandes gewesen seien („fugitives“). Thorarinsson erwähnte auch mehrfach, welch ein Gentleman Spassky sei. Spassky wäre auch einmal am Grab von Fischer gewesen, welches ja sehr abgelegen in einem kleinen Ort liegt. Sehr bewegt hätte Spassky von seinem Freund Bobby gesprochen und den Wunsch geäußert, einmal neben ihm beerdigt zu werden. Was für ein Bild würde das sein, meinte Thorarinsson…

frank modder, 24.09.2022
 

Das Buch von Thorarinsson. Pflichtlektüre.

* Eine Bonus-Geschichte in diesem Zusammenhang, die auch zeigt, wie sensibel man damals war: Bekanntermaßen wurden nach geäußerten Verdächtigungen seitens der sowjetischen Delegation um die 17. Partie herum die Stühle der Spieler untersucht. Röntgenaufnahmen schienen einen verdächtigen Gegenstand in Fischers Stuhl zu zeigen. Die Stühle wurden daraufhin auseinandergenommen, isländische Polizisten bewachten den Vorgang. Dabei sprang ein Holzsplitter aus Fischers Stuhl und landete genau vor den Füßen eines Polizisten (wohl der verdächtige Gegenstand; der Stuhlhersteller erklärte später die Anwesenheit solcher Splitter in Stühlen). Der Polizist hatte Angst: Wenn sich da etwas findet, könnte es zum Matchabbruch und zu Spannungen zwischen den Weltmächten führen. Also handelte er sofort und stellte sich auf den Gegenstand. Die anderen Anwesenden suchten somit verzweifelt und fruchtlos nach dem, was da aus dem Stuhl herausgesprungen war… ( „The Police Officer“-Magazin, Reykjavik, 1997/1).

** Keine andere Person ist wegen eines Verstoßes gegen die Executive Order 12810 angeklagt worden. Dabei gab es sogar illegale Waffenlieferungen aus den USA in Richtung Jugoslawien. Präsident Clinton schreibt darüber in seiner Autobiographie. Dort heißt es in etwa, ja, das hätte man gewusst  (über die Waffenlieferungen), aber man hätte es nicht verfolgt, da sowieso zu wenig Waffen in Jugoslawien gewesen wären. (Einar S. Einarsson, „Freeing Bobby Fischer“, Ausgabe v. 2014).

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