Auf dem Sofa
Pardubice - unser Wimbledon
des Open-Schachs stand wieder vor der Tür! Ok, das Reykjavik-Open
war edler, aber mit „Pardu“ verbinden wir halt die meisten Erinnerungen.
Bei mir war es die 9. Fahrt, Sebastian ist bereits zweistellig unterwegs.
Tschechien ist immer eine Reise wert, zwei Open in Prag haben wir ja auch
noch besucht in den beiden letzten Jahren.
Zuletzt habe ich ja
häufiger ausgesetzt, was in erster Linie organisatorische Gründe
hatte. Es war erst mein drittes Turnier in den letzten drei Jahren. So
war die Vorfreude be mir recht groß, gemeinsam und auch noch in Pardubice
am Brett zu sitzen. Manche Partien wurden zur Qual, sozusagen - aber am
Ende sollte es sich gelohnt haben.
Boris Becker bezeichnete
den Hauptplatz in Wimbledon einmal als sein Wohnzimmer. Und auch, wenn
Bobele mittlerweile an einen unbequemeren Ort umgezogen ist, hielt es uns
nicht davon ab, uns in unser eigenes Wohnzimmer in Tschechien zu begeben.
Man musste aber abwarten, wie gut die Sofas gepolstert sein würden...
Dramatische Meldungen
Bereits am und um den
Anreisetag herum gab es eine verstörende Meldung nach der anderen.
Mit Uwe Seeler verstarb doch etwas plötzlich DIE Ikone des deutschen
Fußballs. Und Magnus Carlsen beendete „sinn- und würdelos“ die
über 130jährige Geschichte der Schach-Weltmeisterschaft. Oder
doch nicht? Dieses Ereignis wird man vermutlich erst in kommenden Jahren
richtig einzuschätzen wissen.
Ja, und dann war da
noch unser Kumpel und Musterschüler Maik, der fast zeitgleich beim
Dortmunder Open mitspielte - und eine Performance
von 2200 hinlegte. Da ist man kaum mal ein paar Stunden
aus dem Land, schon tanzen die Mäuse daheim auf den Tischen!
Pardubicer Eindrücke
Über all die Jahre
- 2006 war der erste Besuch in Pardubice - hat sich in der tschechischen
100.000-Einwohner-Stadt schon einiges verändert. Manches so - anderes
so. Die Stadt bietet ein nettes Zentrum mit gut ausgebauten und beleuchteten
Wegen zum Spazierengehen oder zur sportlichen Betätigung. Aber es
hat sich auch der ganze westliche Massendreck wie McDonald’s, KFC und Co.
dort breitgemacht und droht, die landestypische Cuisine zu verdrängen.
Das Turnier war wieder
gut besetzt, qualitativ und quantitativ. Mehrere Hundert Teilnehmer kamen
zusammen, allerdings wurde - erneut - nicht im örtlichen Eishockeystadion
gespielt, sondern in der Mehrzweckhalle IDEON. Diese bot aber sehr gute
Spielbedingungen. Eine Runde am Tag, immer um 15 Uhr, ist ein vernünftiges
Programm. Leider musste ich im B-Turnier einmal eine Doppelrunde spielen.
Da verlor ich prompt die Morgenpartie, was meine einzige Null im Turnier
blieb. Anstoßzeit 9 Uhr ist wirklich das Letzte!
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Die Mehrzweckhalle
IDEON im Regen...
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Innen tobte die
Schlacht
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Big trouble in little
B-Open
Das B-Open hat nicht
mehr ganz die Spielstärke wie früher. Und es ist voller 1600er-Covid-Kids,
die reihenweise die 2000er wegmähen. Was sollte man da schon erwarten
als in die Jahre gekommener 1900er? Sowas ist Gift! So hatte ich nach drei
Runden gegen 1600er-Durchschnitt bereits eine Null kassiert, die beiden
anderen Partien konnte ich gewinnen. Auch in der Verlustpartie stand ich
sehr gut, aber spielte zu unpraktisch. Vielleicht mangelnde Turnierpraxis!?
In Runde vier spulte
meine Gegnerin 15 Züge Theorie ab, wonach ich mit Schwarz ok stand,
aber mehr war nicht zu wollen. Ich war nun etwa 20 Punkte im Minus - aber
was sollte man erwarten, wie gesagt? Um gegen einen 1600er-Schnitt zu spielen,
brauchte man nicht nach Pardubice zu fahren. Aber ich quälte mich
weiter. Und mit Erfolg - in Hälfte zwei.
Geburtstagsunglück
und andere Dramen
Sebastian startete
mit einer Null nach einem Eröffnungs-Fingerfehler gegen GM Smith,
den er bereits früher einmal als Gegner in Pardu hatte. Es folgte
ein Weißsieg vs. einen schwächeren Gegner. Aus diesem Ping-Pong-Spiel
wollte Bast dann in Runde drei gegen 2350 aussteigen - an seinem Geburtstag!
Früher gab es da regelmäßig Glanzpartien, aber diesmal
ein kleines Drama: Ein Remis wurde ausgelassen.
Simek
(2348) - Bast
Ausbruch also verhindert
- oder verzögert? Runde vier war wieder ein klarer Weißsieg
gegen einen schwächeren Gegner. Nächste Chance, ins Plus zu kommen,
war in Runde fünf mit Schwarz gegen den jungen dänischen FM Kistrup.
Sebastian stand gut, zumindest verlieren musste er nicht - spielte aber
zu impulsiv:
Kistrup
(2310) - Bast
Wieder wurde danach
der nächste schwächere Gegner mit Weiß dominiert. Doch
bei all der strategischen Dominanz vergaß Bast, die Partie taktisch
zu beschließen:
Aus der Partie Sebastian
- Kettenburg. Nach 1. Sd5! boxt der Papst im Kettenhemd, denn als nächstes
folgt Txc6, die Pointe ist Se7. Kann man mal finden! Später gab es
noch eine weitere Möglichkeit taktischer Natur, aber der Oldenburger
wollte mit dem Ball ins Tor laufen und erreichte am Ende nur Remis… So
war nun auch er in der Pflicht, im letzten Turnierabschnitt nochmal was
zu zeigen.
In der Stadt
Manches war in Pardubice
diesmal anders, z.B. wie gesagt die Spielstätte. Aber auch das berühmt-berüchtigte
Studentenwohnheim mit Etagenhandtuch und fließend kaltem Wasser (bei
Regen) stand diesmal nicht zur Verfügung. So gönnten wir uns
denn eine Ferienwohnung zehn Autominuten vom Spielsaal entfernt. Aber es
war sonst auch viele wie gehabt. Essen auf dem Marktplatz, Schwimmen im
örtlichen Bad usw. Analyse-Zelt und A- bzw. B-Club waren auch am Start.
Wir verwendeten aber auch viel Zeit für die Vorbereitung.
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Die Elbe
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Bekannter Blick
für Pardu-Gäste
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Erfolge im B-Open
Für mich begann
die nun deutlich erfolgreichere zweite Hälfte mit einem etwas glücklichen
Sieg gegen knapp 1900, bevor (endlich!) die 2100er kamen. Zunächst
ein älteres Kaliber aus Österreich. Der Gegner spielte strategisch
riskant und schwächte sich selbst weiter - ich konnte einen leckeren
vollen Punkt in den Beutel verfrachten:
Steiner
(2126) - Frank
So entgegenkommend
spielen heutzutage nicht alle 2100er! Die nächste Runde brachte wieder
2100, diesmal aber ein jüngerer Gegner Mitte 20, aber mit Weiß.
Hier die Mittelspielphase dieser Partie:
Frank
- Slepov (2105)
Remis war ein brauchbares
Resultat, nun ging es aber gegen ein weiteres dieser unangenehmen Kids
mit niedriger Zahl. Aber von Zahlen sollte man sich vielleicht heutzutage
wirklich mal verabschieden. Da haben 6jährige im Internet 2600 im
Blitz… Was also tun? Ich versuchte es mit aktivem Spiel:
Engel
- Frank
Da war mehr drin -
und am Ende musste ich noch Remis nachweisen mit Minusqualität. Die
Partie dauerte exakt 100 Züge - erst meine dritte Seeschlange überhaupt!
Den Sieg aus ließ ich auch in der letzten Runde gegen einen älteren
2000er. Immerhin Remis. So konnte ich mich einigermaßen ansehnlich
aus dem Turnier verabschieden, DWZ-Leistung knapp unter 2000 war ok für
die lange Abstinenz und nach dem mäßigen Start. Wie würde
es Sebastian ergehen?
Damengambit bei
Sebastian
Drei Runden noch für
unseren Kämpfer, zweimal wohl mit Schwarz. Gegen eine Gegnerin aus
dem 2000er-Bereich stand Sebastian gut, stampfte aber einen Bauern weg.
Irgendwann reicht es auch!, dachte sich der Oldenburger wohl, und riß
dann die Partie mit Macht an sich. Hier die Mittelspielphase der Partie:
Sochorova
(2019) - Bast
Es folgte ein Covid-Boy,
ein 14jähriger 2300er, der Bast in der Eröffnung auf dem falschen
Fuß erwischte. Dabei ist Sebastian da immer auf dem Stand der Dinge.
In der letzten Runde wollte der Oldenburger dann zumindest noch eine alte
Rechnung begleichen. Gegen diese Gegnerin hatte er vor 16 Jahren in Pardubice
erst den Gewinn, dann das Remis ausgelassen. Er blieb nichts schuldig und
opferte sogar die Dame:
Cagara
(2015) - Bast
Ein versöhnlicher
Abschluß am letzten Tag? Wie man es nimmt. Mit einer solchen Partie
gestaltet sich die lange Rückfahrt dann zumindest etwas angenehmer.
Ok, ich schmollte noch etwas über den ausgelassenen vollen Punkt in
meiner letzten Partie, aber man kann nicht alles haben! Nach einer unproblematischen
Nachtfahrt hatte die Heimat uns jedenfalls wohlbehalten wieder.
Fazit
Für Sebastian
enttäuschend, dass er seine derzeit niedrige Zahl nicht heben konnte.
Das Ping-Pong-Spiel ist vielleicht nicht optimal. Man kann zumindest sagen,
dass er alle schwächeren Gegner völlig eintütete, auch wenn
er einmal vergaß, den Sack zuzumachen. Aber die wenigen Chancen gegen
die Stärkeren wurden halt nicht wahrgenommen. Da kennen wir ihn anders!
Aber das Schachleben gegen die jungen Leute wird nicht einfacher.
Ich selbst konnte wieder
mal meine Zahl gegen schwächere Gegner nicht vollumfänglich darstellen.
Mir ist am liebsten etwas im Bereich 2000-2100, da habe ich mal ausgerechnet,
dass ich fast 50% geholt habe über einen Zeitraum von drei oder vier
Jahren. Aber ich hole leider vorne und hinten nicht genug gegen die wertungsschwächere
Konkurrenz. Und die Kids in dem Bereich sind eben auch häufig unterbewertet.
Rahmenbedingungen.
Hier noch wie immer
der Link zur offiziellen Seite: Link
frank modder, 09.08.2022
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Elbe gut, alles
gut
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