Erster Auftritt
nach Reykjavik
Himmelfahrt mitsamt
Brückentag ist für Schachspieler immer Gelegenheit, an einem
Open teilzunehmen, anstatt bei sommerlichen Temperaturen vor dem heimischen
Grill die Füße hochlegen zu müssen. Diesmal ging es für
uns nach Bargteheide. Ein beschauliches Örtchen, gelegen im Speckgürtel
Hamburgs, allerdings geographisch angesiedelt in Schleswig-Holstein. Wir
quartierten uns ein in einem Gästehaus im Nachbarort Ahrensburg.
Teil des Teams war
diesmal der „armenische Löwe“ Spartak Grigorian, der ja in der Vergangenheit
sporadisch schon mal mit dabei war, hier erlebte er erneut alle emotionalen
Höhen und Tiefen einer Schachfahrt mit M&M. Das stählt für
den Angriff auf den IM-Titel! Anreise war bereits am Mittwoch Abend, um
Streß zu vermeiden. Auch der Zeitplan erwies sich als recht machbar
trotz Doppelrunden. Das Ganztageszentrum lag in einer parkähnlichen
Landschaft und war eine entspannende Angelegenheit.
In 3 Open mit jeweils
ca. 80 Teilnehmern wurden 7 Runden CH absolviert, Bedenkzeit war das bewährte
Fischer Kurz. Wir starteten im A-Turnier (ab 1800), hier waren Sebastian
und Spartak in den Top 20 gesetzt. Ich selber war eher im unteren Viertel
angesiedelt, aber das gab die Möglichkeit, gegen gute Leute anzutreten,
was mir wesentlich mehr liegt, als gegen Schwächere irgendwelche Londoner
Systeme, Colle-Aufbauten und andere Betonmischer-Varianten aufbrechen zu
müssen. Nun denn!
Tag 1
Bast trat zum Auftakt
am Donnerstag Morgen gegen 1965 an. Ich gebe mal immer nur die ELO-Zahl
an. Die DWZ, so habe ich ausgerechnet, war bei unseren Gegnern in diesem
Turnier im Schnitt 50-60 Punkte niedriger als die ELO. Sebastian hatte
Schwarz. Und an dieser Stelle hat er wirklich Pech, denn in den letzten
8 Turnieren hatte er 7x die Arschkarte einer Schwarzpartie mehr gezogen.
Hätte er also beim Roulette immer auf einfache Chance gesetzt, wäre
er kaputtgegangen.
Seinen älteren
Gegner hatte er ganz gut im Griff, bis er schließlich eine Qualität
opferte. Das war kritisch, und im Nachhinein sah Sebastian es auch als
unnötig an. Der Gegner hätte sonst etwas passiver gestanden,
bzw. die Stellung war bis dato leicht vorteilhaft für Sebastian. Die
Lage wurde aber jedenfalls nun komplexer und Weiß verlor den Überblick.
Bast konnte einfach seine Figuren effektiver einsetzen und kassierte zwei
Bauern und den Punkt.
In der Nachmittagsrunde
kam dann Musik auf’s Brett - wortwörtlich. Denn außerhalb des
Gebäudes feierte auf den umliegenden Wiesen die Ahrensburger Jugend
den Vatertag mit Ghettoblaster und Co. Die akustische Untermalung wirkte
aber durchaus inspirierend. Gegen 2086 mit Weiß hatte Bast wenig
Mühe, das Spiel seines Gegners am Königsflügel war zu langsam,
während er selber den kompletten Damenflügel aufrollte. 2,0/2,
ein solider Auftakt.
Mein erster Gegner
(2152) ließ sich mit Schwarz enorm viel Zeit mit seinem Spiel am
Damenflügel, während ich auf der anderen Flanke seinen König
ins Visier nahm. Ich ließ ihn aber etwas entwischen und am Ende stand
ich selber etwas unter Druck, wenn auch nie rechnerisch schlechter, jedoch
hatte ich einmal Glück mit einer bestimmten Ressource. Am Ende griff
er fehl und verlor Material, was mir einen unverhofften ganzen Punkt eintrug.
Zufrieden sein konnte
ich auch mit der Eröffnung und weiten Teilen des Mittelspiels am Nachmittag
gegen 2197. Letztlich landeten wir in einem Endspiel mit Dame+Turm, hier
verpasste ich leider die Möglichkeit, zumindest für Ausgleich
zu sorgen und ein Remis mitzunehmen, da ich seinen Freibauern zu stark
werden ließ.
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Runde 1
Modder - Wollenweber
Stellung
nach dem 51. Zug von Weiß
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Hier nun spielte Schwarz
51.
... Tc2 und es sah fast schon so aus, als wäre ich geplatzt.
Jedoch 52. Lxe6+! Mein Gegner hätte nun Ke7 spielen müssen,
und nach Lb3 stehe ich wohl noch etwas besser. Er hatte die Partie jedoch
bereits als gewonnen für sich abgehakt und griff a tempo den Turm
an nach dem Motto "was will er noch": 52. ... Kc7? 53. Tc8+ und
er musste aufgeben.
Tag 2
Sebastian hatte mit
IM Carlstedt (2458) einen Topgesetzten - mit Schwarz, natürlich. Bast
bekam eine starke Stellung und gab eine Qualität. Doch die Lage wurde
zunehmend komplex und Basts Vorteil war wohl nicht so groß wie es
schien. Er ließ dann einen gegnerischen zentralen Freibauern zu stark
werden und es gelang ihm leider nicht, aus dieser Partie etwas mitzunehmen.
Am Nachmittag mussten
wieder Hausaufgaben gemacht werden gegen 2119. Sebastian stand hier eigentlich
ganz zufriedenstellend, aber dennoch wohl ungefähr noch ausgeglichen,
aber bei einem kleinen taktischen Scharmützel stampfte der Gegner
durch wohl einen Black-Out einen ganzen Turm ein. 3,0/4. Mit 3 Punkten
aus 3 Partien war unser dritter Mann Spartak gestartet und lag vor der
4. Runde auf Platz 1. Dort kam es dann zum Duell gegen den jungen Profispieler
Dmitrij Kollars. In einem Turmendspiel konnte Spartak hier mit Schwarz
eigentlich locker Remis machen, aber er räumte seinem Gegner zweimal
eine Chance ein, die Zweite wurde von Dmitrij genutzt. Damit Spartak auch
bei 3,0/4 wie Sebastian.
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Runde 3
Carlstedt - Müer
Stellung nach dem 19.
Zug von Weiß |
Sebastian gab jetzt
hier die Qualität mit 19. ... Txe5, aber er verbrauchte für
diesen klar besten Zug auch 20 seiner bis zur Zeitkontrolle verbliebenen
25 Minuten. Nach 20. Lf4 Sh5 21. Lxe5 Lxe5 22. Df3 f5 23. Ta-d1
wäre nun Dd6 recht vorteilhaft gewesen, aber es folgte 23. ...
b4 24. d6 mit ungefährem Ausgleich. Später wie gesagt verlor
Bast diese Partie.
Bei mir gab es am Morgen
eine Eröffnungskatastrophe. Das war sicherlich auch etwas der Umstellung
meiner Eröffnungen geschuldet, derzeit schlage ich mit 1. e4 und 1.
d4 auf, wobei ich aber mit dem Königsbauern noch nicht die Erfahrung
habe wie mit d4. Dennoch war der Bauernverlust in dieser Partie vermeidbar
und wohl eher meiner Dusseligkeit geschuldet denn mangelnder Kenntnisse
der Eröffnung. Ich kämpfte gegen 2102 noch ewig weiter, aber
konnte es nicht mehr retten.
In der zweiten Partie
des Tages bekam ich mit Schwarz gegen einen jungen Gegner mit 2011 Punkten
schnell angenehmes Spiel. Beide hatten wir lang rochiert, am Damenflügel
war in der Folge nicht allzu viel los, aber ich hatte vernünftige
Kontrolle im Zentrum und gutes Druckspiel am Königsflügel. Er
verteidigte sich jedoch gut, und trotz eines Engine-Vorteils für mich
von 1,5 Bauern war nicht ersichtlich, wie man durchbrechen sollte, auch
die Maschinen haben da nichts anzubieten. Schließlich Remis durch
Zugwiederholung. Das war relativ ok, der Gegner war zwar erst 13, aber
seine DWZ auch fast bei 2000. In der Hinsicht sollte es jedoch schlimmer
kommen. Hier aber erstmal die Schlußstellung dieser Partie:
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Runde 4
Holinka - Modder
Sclußstellung
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Tag 3
Sebastian bekam wieder
einen aus den vorderen Bereichen der Setzliste, den jungen Hamburger Malte
Colpe (2385). Selbstverständlich mit Schwarz. Interessant war übrigens,
dass Basts alle bisherigen Partien in diesem Turnier maximal gut 30 Züge
dauerten. Ungewöhnlich für ihn, normalerweise hat er einen Schnitt
von 50 Zügen… Aber das erleichtert zumindest die Partienerfassung
hinterher.
Sebastian überspielte
seinen Gegner scheinbar, der etwas langsam eröffnete und schließlich
eine bekannte Theoriestellung mit einem Tempo mehr für Schwarz „erreichte“.
Bast wollte dann mit einem Opfer den Deckel draufmachen, hier übersah
er jedoch eine Ressource und am Ende verlor er seinen Springer gegen zwei
Bauern. Das Endspiel konnte er trotz zweier Freibauern nicht mehr retten,
der einzig verbliebene Bauer von Weiß machte stattdessen das Rennen.
Festhalten sollte man, dass die anschließende Bewertung tatsächlich
einen zeitweisen Vorteil vor dem Opfer aufwies, allerdings hatte auch Weiß
bessere Züge ausgelassen, so dass die Bewertung durchaus schwankte.
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Runde 5
Colpe - Müer
Stellung nach dem 35.
Zug von Weiß |
Hier muss man wohl
auf f1 tauschen und dann mit f5 weiter Druck machen. Sebastian meinte aber
bereits eine gewinnbringende Kombination anbringen zu können: 35.
... Sxh3. Irgendwie hatte er wohl gemeint, da dürfe Weiß
nun gar nicht schlagen, aber Malte nahm weg und am Ende blieb der materielle
Nachteil.
Am Nachmittag hatte
Sebastian Weiß gegen 2182. Sicherlich keine leichte „Hausaufgabe“,
aber ein Sieg sollte das Ziel sein. Sein Gegner hatte am Anfang des Turniers
einen Coup gelandet, indem er die Nr. 1 der Startliste, den russischen
Großmeister Epishin, umhaute. Sebastian gewann einen Bauern und schien
recht schnell auf die Siegerstraße zu geraten, aber immerhin schaffte
der Gegner mit einem Freibauern gewisses Gegenspiel. Letztlich fand Sebastian
nichts Besseres als die Abwicklung in ein ungleiches Läuferendspiel
mit zeitweise zwei Mehrbauern. Der Gegner griff hier einmal fehl und Bast
konnte in einer Situation gewinnen, aber fand es nicht und schließlich
wurde die längste Partie dieser Runde Remis.
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Runde 6
Müer - Eriksson
Stellung nach Zug Nr.
61 von Schwarz |
In dieser Stellung
gab es die Möglichkeit zum Sieg für Weiß: 62. g6 mit der
Drohung g7 und nach 62. ... Lc3 holt sich Weiß den Bauern auf h5
ab - und den Punkt. Nach dem schnell gespielten 62. Kf5 Lc3 63. g6 h4
konnte Weiß den h-Bauern nicht mehr aufsammeln und Schwarz sich dadurch
retten.
Meine erste Partie
am letzten vollen Spieltag gegen 2035 war sehr taktisch geprägt, blieb
aber wohl immer im Bereich = oder += in eine Richtung. Im Endspiel Dame+Läufer+Springer
wollte er die Damen tauschen, wessen ich auswich. Ich selber wollte die
Züge wiederholen, wo er dann auswich. Letztlich „tappte“ er doch in
eine 3malige Wiederholung in ausgeglichener Stellung. Jedoch: Spartak fand
die Stellung besser für mich, während Sebastian für meinen
Gegner votierte. Man mache sich selbst ein Bild: Wer will Damentausch und
wer steht wann besser.
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Runde 6
Modder - Kurth
Schlußstellung
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Nachmittags zog ich
gegen 2122 eine lange Theorievariante weg, aber das entstandene Endspiel
war wenig theoretisch und wurde von meinem Gegner besser beherrscht. Ich
stampfte zudem meinen isolierten Bauern ein nach ein paar schwachen Zügen.
Mein Gegner musterte in dieser Phase mein Namensschild neben dem Brett,
auf dem auch die Zahlen notiert waren. Motto vielleicht: „Wieviel hat dieser
Patzer?“. In der Folge kämpfte ich und wollte eine Festung aufbauen.
Mein Gegner tat sich hier ziemlich schwer und machte merkwürdige Manöver
mit seinem König. Hier drehte ich sein Namensschild zu mir und studierte
erstmal die Angaben zu seiner Rating.
Letztlich war meine
Stellung aber zu schlecht und Weiß erzielte doch Fortschritte irgendwann
und gewann einen zweiten Bauern, danach gab ich relativ schnell auf. Eine
unbefriedigende Partie, hier fehlte mir einfach eine gewisse Technik im
Endspiel. Die Eröffnung war bestimmt zufriedenstellend für mich
gewesen.
Tag 4
Bis dato war das Turnier
sicherlich kein Erfolg für uns, aber im Grunde war alles „im Rahmen
dessen“. Sebastian lag sogar etwas im Plus, während ich mich bei +/-
Null bewegte. Aber die letzte Runde machte es dann doch noch negativ. Sebastian
stöhnte, dass sein Gegner mit 2174 und Weiß anscheinend gar
nichts wolle, aber er selber rührte dann ziemlich drin herum, wonach
sein Gegner Vorteil bekam und dann sehr streng fortsetzte, Bast verlor
diese Partie relativ schnell.
Spartak beendete das
Turnier mit satten 5 Punkten. Doch es muss auch mitlaufen: In der letzten
Runde hatte er seine 4. Weißpartie und bekam einen Gegner hochgelost
mit 1700. Aber er spielte insgesamt ein gutes Turnier, mit Niederlagen
gegen die starken Kollars und den ehemaligen Schachzwerg Feuerstack (2452).
Platz 6 in der Abschlußtabelle. Ratingzuwachs moderat mit +10.
Ich bekam in meiner
letzten Partie wieder einen 13jährigen Gegner zugeteilt, aber mit
lediglich 1850 Wertungspunkten. Immerhin war er der amtierende Hamburger
U14-Meister. Also erstmalig war ich im Zugzwang, immerhin mit Weiß.
Die Eröffnung machte mir etwas Probleme, aber nachdem Schwarz seinen
typischen Gegenspielzug im Zentrum nicht durchsetzen konnte, fühlte
ich mich eigentlich als Sieger der Eröffnungsschlacht. Schließlich
konnte ich einen Bauern gewinnen und es ging auch direkt ins Doppelturm+Springer-Endspiel.
Aber auf Grund aktiver
Figuren hatte er wohl vollständige Kompensation, zudem begann er dann
sehr stark zu spielen und erteilte Lehrstunden in der Behandlung von Endspielen
und schnürrte mich völlig ein. Ich spielte wohl etwas zu passiv
und klammerte mich zu lange an mein Material, bis ich dann mit meinem König
auch noch besoffen in einen Angriff taumelte. Ich konnte diese Partie nicht
mehr retten. Hier die Phase des Bauerngewinns:
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Runde 7
Modder - Pfreundt
Stellung nach Zug Nr.
16 von Schwarz |
Wer hätte sich
hier nicht für den Bauerngewinn entschieden mit 17. Sd5 Sxd5 18.
exd5 Se5 19. Dxb5 Dxb5 20. Lxb5. Er hätte es vermeiden können
mit Sa7 statt Se5, aber steht dann passiv. Ich meine, man muss doch so
spielen mit Weiß! Es folgte 20. ... c6 21. dxc6 bxc6 22. Le2 La6.
Jetzt musste man überlegen, welche Leichtfigurenkonstellation man
spielen wollte. Aber dass ich in dieser recht simpel anmutenden Stellung
trotz Mehrbauer keinen Vorteil habe, hätte ich nicht vermutet. Verlieren
musste ich natürlich nicht mehr.
Fazit:
Das gezeigte Schach
war vor allem bei Sebastian nicht das Schlechteste, aber es fehlten am
Ende einfach die Resultate. Jeden halben Punkt musste man hier mit den
Zähnen greifen, geschenkt gab es nichts. Bei mir was es ähnlich,
allerdings habe ich zwei Partien durch Bauerneinsteller weggestampft. Bast
und ich haben jeweils etwa 10 Punkte verloren. Ansonsten war die Organisation
gut und die Spielbedingungen – zumindest im A-Turnier – okay, es sei denn,
man saß in der letzten Reihe, was mir leider mehrfach passierte!
An- und Abfahrt fanden
natürlich im besten Reiseverkehr statt, das ist ein Nachteil, aber
ansonsten eines der stressfreiesten doppelrundigen Turniere. Stress macht
man sich höchstens selber, wenn es z.B. darum geht, pünktlich
zu Rundenbeginn am Brett zu sein - und hier spielten Sebastian und ich
uns die Bälle zu… man muss es vermutlich erlebt haben. Spartak hat
es hoffentlich wohlbehalten überstanden.
Das nächste Abenteuer
findet wohl im Juli im tschechischen Pardubice statt.
Hier noch der Link
zur Turnierseite:
Offizielle
Turnierseite
- frank modder,
14.05.2016
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