Staraufgebot
in den Niederlanden
Bereits zum 18. Mal
fand das Unive Schachturnier im niederländischen Hoogeveen statt.
Das ist eine gemütliche Stadt mit etwa 55000 Einwohnern. Sebastian
Müer und ich spielten hier zum ersten Mal - in unterschiedlichen Wettbewerben
- mit. Spiellokal war das Rathaus von Hoogeveen, welches eine knappe Autostunde
von Ostfriesland entfernt ist, weshalb man jeden Tag pendeln konnte. Möglich
war dies allerdings auch nur, weil es keine Doppelrunden gab. Die Organisation
mit Turnierdirektor Loek van Wely (!) war hervorragend. Gute Spielbedingungen,
gratis Kaffee und Liveübertragung im Internet – was will man mehr.
Sebastian spielte im
neunrundigen Open, welches mit so klangvollen Namen wie Beliavsky und Romanishin
besetzt war. Zur Teilnahme hier benötigte man mind. 2000 Wertungspunkte.
Ich spielte in einem der siebenrundigen sogenannten Amateurturniere, welche
eine Wertzahlobergrenze von 2100 Punkten hatten. Diese Turniere unterschieden
sich lediglich durch die Anstoßzeiten. Um mit Sebastian identische
Runden zu haben, wählte ich das Nachmittagsturnier. Immer um 14 Uhr
ging es los.
Im Rahmenprogramm fanden
noch zwei Wettkämpfe über jeweils 6 Partien statt. Hollands Vorkämpfer,
Jan Timman, spielte dabei gegen Baduur Jobava aus Georgien und der aktuelle
niederländische Topspieler, die Nr. 7 der Welt, Anish Giri, trat gegen
„Fire on board“ Alexei Shirov an. Hier setzte sich am Ende jeweils der
jüngere Spieler mit 4,5:1,5 durch. Der Wahlspanier Shirov sah nach
seinen Worten auf der Siegerehrung danach kein Feuer mehr, sondern es sei
nur noch der Rauch, der aufsteigen würde.
Die Veranstaltung wurde
für uns ein voller Erfolg, oder sagen wir mal, doch ein ziemlicher.
Sebastian konnte endlich mal wieder gegen GM punkten und auch ein IM wurde
gerupft mit einer Partie, die den Schönheitspreis gewann, und ich
selber spielte bis zur vorletzten Runde um den Turniersieg mit. Doch der
Reihe nach!
Fotos: Kann ich
nicht mehr in der bisherigen Weise darstellen,
da sich das Bildbearbeitungsprogramm
nicht mehr auf meinem
neuen Rechner starten
lässt. Darum muss hier improvisiert werden.
Aber anklicken
zur Vergrößerung sollte noch funktionieren.
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Das Rathaus von
Hoogeveen.
Hier wurde in verschiedenen
Räumen gespielt.
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Im Bürgersaal
fand das Open statt.
Das Amateurturnier
war im 1. Stock untergebracht.
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Erste Turnierhälfte
Sebastian
trat zum Auftakt des Open gegen den niederländischen GM Sipke Ernst
(ELO 2555) an. Hier nahm Sebastian mit Weiß am Anfang munter Bauern
mit, die der Gegner für Entwicklung und Initiative opferte. Zweimal
konnte Schwarz in der Folge auf f2 reinschlagen, machte es dann aber zur
Unzeit. Sebastian hatte danach klaren rechnerischen Vorteil. Aber die Lage
war kompliziert und er nahm eine Zugwiederholung an. Ein toller Auftakt
und erst das zweite Mal für ihn, dass er gegen einen Großmeister
in einer Turnierpartie was holen konnte. Hier die Endphase dieser Partie:
Müer
- Ernst
Der nächste Kracher
folgte in Runde zwei mit dem ukrainischen GM Oleg Romanishin, der seine
Glanzeit in den späten 70er bis zu den frühen 90er Jahren hatte
und bei Mikhail Tal in die Schule gegangen war. Hier konnte Sebastian nichts
holen, dies lag in erster Linie an der Eröffnung (oder doch an Tal?),
in der Sebastian die Züge vertauschte und schnell mit dem Rücken
zur Wand stand.
In Runde drei gegen
einen Gegner mit 2100 Wertungspunkten ließ Sebastian die gegnerischen
Angriffsbemühungen ins Leere laufen und in einem einfachen Turmendspiel
war sein gedeckter Freibauer wertvoller und verhalf ihm zu einem Mehrbauern,
was er auch verwertete. Eine gute Partie. Aber es folgte dann ein Rückschlag
in der Runde vier. IM de la Torre (2440) patzte, aber Sebastian nahm lediglich
einen Bauern mit, dabei war deutlich mehr drin. Der Gegner kämpfte
sich wieder zurück und Sebastian ließ in der Folge Möglichkeiten
zum Remis ungenutzt und verlor sogar noch diese Partie. Sehr bitter, auch
wenn 1,5 aus 4 bei einem starken Gegnerschnitt ok waren. Hier die wichtige
Phase dieser Partie:
Müer
- de la Torre
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Sebastian wirkte
lediglich zerknirscht, aber war
es nicht. Das Bild
stammt von der Turnierseite.
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Auch mir ging
es nicht schlecht.
Hier bei meiner Partie
in der 3. Runde.
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Ich startete
hervorragend in das Amateur-Turnier. In der ersten Runde konnte ich einen
schwächeren Gegner (1550) mit einer einfachen Grundlinientaktik aushebeln.
Spannender wurde es schon in Runde zwei gegen 1740. Mit Schwarz hatte ich
schnell Vorteil, den ich nach und nach ausbaute. Ich hatte schließlich
zwei Mehrbauern und er musste auch die Dame gegen Turm und Läufer
geben. Im Endspiel waren seine Figuren sehr aktiv, und kurzfristig schien
dies seinen klaren Materialnachteil zu kompensieren. eine Möglichkeit,
wenigstens noch ein Remis zu retten, nahm er allerdings nicht wahr. Hier
als Ausschnitt die Grundlinientaktik aus Runde eins als Aufwärmübung:
Modder
- van de Mheen
Runde drei brachte,
erneut mit Schwarz, einen 2000er. Hier konnte ich eine Variante servieren,
die ich recht gut kenne, mein Gegner sah sich genötigt, einen Bauern
zu geben. Das konnte ich transportieren, ließ aber in Zeitnot eine
Chance aus, und der Gegner kam wieder etwas heran. Mit einer Umwandlungskombination
konnte ich ihn dann aber doch noch ausknocken und den Punkt holen. Hier
die spannende Schlußphase der Partie:
Lootsma
- Modder
Und ich durfte dann
gegen 2055 sogar von 4 aus 4 träumen. Nachdem mein Gegner Eröffnungsprinzipien
verletzt hatte, bekam ich einen starken Angriff. Statt die Qualität
zu geben, womit ich rechnete, opferte er sogar seine Dame gegen zwei Läufer.
Somit hatte ich Dame gegen das Läuferpaar bei noch jeweils zwei Türmen.
Ich dachte, was will er noch. Aber seine Läufer standen stark und
ich hatte Probleme, meine Puppen ins Spiel zu bringen. Später gab
ich Material zurück, um einen Königsangriff abzuschütteln,
eine Mehrqualität reichte danach im Endspiel nicht mehr zum Sieg wegen
eines starken Freibauern des Gegners. 3,5 aus 4 waren aber auch noch sehr
gut und ließen Möglichkeiten auf den Turniersieg offen.
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Im Open starteten
bekannte Namen. Rechts Alexander
Beliavsky gegen den
Turniersieger Victor Mikhalevski.
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Auch ein bekanntes
Gesicht: Oleg Romanishin.
Er war Gegner von
Sebastian in Runde zwei.
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In der Mitte des
Turniers
Da Sebastian im Open
zwei Runden mehr spielte, hatte er zur Mitte des Turniers eine Doppelrunde
zu absolvieren, während ich an diesem Tag spielfrei hatte. Bast konnte
mit Schwarz seinen 2084er Gegner relativ schnell am Königsflügel
überspielen. In schwieriger Stellung übersah Weiß dann
noch eine kleine Taktik und verlor Material. Ein klarer Sieg, hier die
entscheidendeTaktik in dieser Partie:
Hummel
- Müer
Runde sechs war dann
eher bitter. Sebastian kam wohl mit der Eröffnung nicht so zurecht,
und bereits im frühen Mittelspiel verirrte sich seine Dame auf den
Damenflügel, um dort nach einem Bauernraub gefangen zu werden. 2,5
aus 6. Bezüglich Gegnerschnitt immer noch deutlich ok, aber es war
ja auch wieder irgendwie ein Ping-Pong-Spiel geworden. Noch war es aber
nicht zu spät, aus dieser Dynamik auszubrechen, und genau dies gelang
Sebastian dann auch im Finale des Turniers.
Schlußphase
des Turniers
Sebastian
gewann in Runde sieben einmal mehr souverän gegen einen Gegner mit
knapp unter 2100. Er experimentierte in der Eröffnung und erhielt
Königsangriff, als der Gegner früh viel Material wegstellte.
In diesem Turnier hatte Bast also keine Mühe mit unter 2100. Und es
hat sich gezeigt, dass auch auf diesem Spielstärkeniveau viele Partien
einfach irgendwann durch grobe Patzer entschieden werden. Dazu gleich noch
mehr. Hier die Taktik aus der Partie:
Müer
- Henseler
In der vorletzten Runde
folgte das Glanzstück Sebastians in diesem Turnier. Eine mehrstündige
Vorbereitung in der Nacht zuvor führte dazu, dass der Gegner, IM de
Jong, mit einer Reihe starker Züge bombardiert wurde. Sebastian spielte
auch extrem aggressiv und konnte schließlich seinen Angriff krönen.
Er bezeichnete diese als eine seiner besten Partien überhaupt. Das
sah die Turnierleitung ebenso, und Loek van Wely überreichte Sebastian
einen Preis für die schönste Partie der achten Runde.
Hier
die komplette Partie de Jong - Müer
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Sebastian nimmt
einen Buchpreis von Loek van Wely entgegen.
Hinzu kam noch ein
Jahresabo vom New in Chess Magazine.
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... und am Brett.
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In der Schlußrunde
kam gegen einen weiteren IM erneut eine Vorbereitung auf das Brett, der
Gegner wich jedoch von der Hauptlinie ab. Sebastian kam damit aber ganz
gut zurecht, und diese Partie endete schließlich ohne größere
Komplikationen mit einem leistungsgerechten Remis.
5,0 aus 9 und damit
„+1“ sowie eine Performance von etwa 2330 Punkten brachten Sebastian 30
Punkte ELO-Zugewinn, was schon ein schöner Erfolg ist. Auch die DWZ
stieg um 40 Punkte, somit nähert sich Sebastian wieder der 2200er-Marke.
Mein Turnier
ging
wie folgt zu Ende: Mit 3,5 aus 4 traf ich auf 2000 in Runde fünf.
Ich bekam hier Probleme in der Eröffnung und musste um Ausgleich kämpfen.
Mein Gegner ließ Chancen aus, und im Läuferendspiel stellte
er in Zeitnot schließlich sogar einen Bauern ein. Ich erreichte eine
Gewinnstellung mit Randbauer bei gleichfarbigen Läufern sowie weit
entferntem König des Gegners, aber da ich diese Position für
eine Selbstverwaltung hielt, spielte ich zu schnell und verpatzte es zum
Remis.
Runde sechs, wieder
gegen 2000, lief völlig an mir vorbei. Nach passiver Eröffnung
opferte ich einen Springer für zwei Bauern. Mein Gegner räumte
mir Chancen ein und durch einen taktischen Schlag hätte ich die Figur
zurückgewinnen können mit Gewinnstellung. Auch hier spielte ich
aber wieder zu schnell und vertauschte die Züge, wonach er noch eine
Rettungsaktion hatte. Danach verlor ich schnell. Das war bitter. Hier die
kritische Phase:
Algera
- Modder
Die Schlußrunde
brachte nochmal eine interessante Partie gegen 1975. Mit Schwarz hatte
ich schnell keine Probleme, doch er machte auch keine unverzeihlichen Verlustzüge.
In seiner Zeitnot startete ich einen Mattangriff, aber er konnte so spielen,
dass es nicht mehr als Dauerschach wurde. Diese Partie war ohne grobe Fehler
von beiden Seiten gespielt und als solche von meinen einzigartig. Hier
das Ende dieser Begegnung:
Mol
- Modder
Damit sind wir wieder
beim Thema grobe Fehler von oben: In sechs meiner Partien wurden grobe
Fehler gespielt, natürlich auch von mir selbst. Und es waren einige
2000er dabei. Das zeigt, dass man auf diesem Niveau, sagen wir bis 2100,
fast immer taktische Chancen bekommt, in fast jeder Partie. Man muss sie
dann nur ausnutzen. Leider vermeidet man selber auch die groben Patzer
eben nicht immer, und somit verbaut man sich den Weg zu mehr. Dennoch auch
für mich ein gutes Turnier. Am Ende 4,5 aus 7 und ein 12. Tabellenplatz.
Knapp 30 DWZ-Punkte gab es hinzu und damit wieder den Sprung über
1900.
Fazit
Ein tolles Turnier.
Ideale Bedingungen und Anstoßzeiten, eine kompetente Turnierleitung
und ein attraktives Teilnehmerfeld. Und wenn man dazu noch Leistung zeigen
kann - was will man eigentlich mehr!
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Hier noch der Link
zur Turnierseite:
Unive
Chess
- frank modder,
22.10.2014
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Hoogeveen - die
neue Schachhochburg?
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