Nun ist es also doch passiert: Kasparov
verliert ein Match gegen einen Gegner aus Fleisch und Blut, Kramnik darf
sich nun neuer Weltmeister nennen. Wenn man sich den Verlauf des Matches
einmal anschaut, so fällt auf, daß Kasparov wenig kreativ zu
spielen schien. So eröffnete er immer wieder mit 1. e4, auch noch
als klar war, daß Kramnik darauf gut prepariert zu sein schien, und
zeigte wenig Gespür für taktische Situationen (siehe z. B. die
10. Partie). Darüber hinaus gab es einige merkwürdige Kurzremisen
mit Weiß.
So spielt kein Kasparov, erst recht
nicht, wenn er zurückliegt. Da ist man von den Kämpfen gegen
Karpov ganz anderes von ihm gewohnt. Es drängt sich also unwillkürlich
die Frage auf, ob Kasparov vielleicht absichtlich gegen seinen Freund Kramnik,
den er vor Jahren bereits als seinen möglichen Nachfolger apostrophierte,
nicht alles zeigte. Der Hintergrund liegt klar auf der Hand: finanzielle
Anreize. Um so etwas wie einen Titel geht es schon längst nicht mehr.
Gegen wen hätte Kasparov denn
noch ein finanzträchtiges Match spielen sollen, wenn er Kramnik geschlagen
hätte? Anand hatte er ja schon 1995 besiegt. Und Shirov? Der hatte
ja bereits ein Match gegen Kasparov, was aber nicht zustande kam, da eben
keine Sponsoren gefunden wurden, die bereit waren, einen entsprechenden
Preisgeldtopf auf die Beine zu stellen - jedenfalls, wenn man Kasparovs
eigener Aussage glauben darf. Zudem waren es seinerzeit ja auch monetäre
Gründe gewesen, die Kasparov und die FIDE auseinander dividierten.
So hat Kasparov die Möglichkeit,
ein Rückmatch gegen Kramnik zu spielen, was er ja auch bereits in
der Presse- konferenz nach der 15. Partie andeutete. Holt er sich dann
den „Titel“ wieder, kann er, vielleicht ein Jahr später, noch ein
drittes Match mit Kramnik spielen, was dann als entscheidendes Match zwischen
den beiden vermarktet wird. Doch egal, ob es sich nun um ein abgekartetes
Spiel handelt, oder nicht: die Schachwelt sollte möglichst schnell
wieder zu einer einheitlichen Weltmeisterschaft zurückfinden, wozu
auch diese unsägliche K.O.-WM der FIDE nicht zählt.
Frank Modder |