Back in Black
Endlich wieder mal
eine Landesmeisterschaft! Die Erste ihrer Art seit 2020. Zweimal hatte
man entschieden, die Veranstaltung abzusagen. 2022 fand (lediglich? immerhin?)
eine abgespeckte Version des Meisterturniers statt. Aber jetzt fielen die
Horden wieder in den Niedersachsenhof in Verden ein. Sebastian versuchte
sich einmal mehr im Meisterturnier daran, den Landestitel nach Oldenburg
zu holen.
Nachdem wir unsere
Bude bezogen hatten, spielte Sebastian am Vortag der Meisterschaft als
kleine Fingerübung die Landesschnellschachmeisterschaft. Hier schlug
u.a. der deutsche Top 10-Spieler Dimitrij Kollars auf. Und sein Service
kam wie bei Boris Becker: 7 aus 7 und Platz 1. Etwas zum Leidwesen von
Ilja Schneider, der trotz Mehrfigur gegen den GM am Ende doch ins DGT-Brett
beißen musste (was er Berichten zufolge wohl auch beherzt tat). Aber
er war bester Niedersachse und somit Landesmeister.
Sebastian spielte Schweizer
Gambit und verlor in Runde zwei gegen einen klar schwächeren Gegner.
Aber den Rest gewann er und war punktgleich mit Schneider und weiteren
Leuten mit 6 aus 7. Nach der Nebenwertung blieb der siebte Platz. Aber
immerhin: Die Gelenke waren geölt! Aber Angst vor einem Gichtfinger
in Zeitnot musste Sebastian nicht haben - die Probleme mit der Bedenkzeit
sollten sich im Turnier etwas anders darstellen…
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Sebastian beim
Schnellschachturnier, hier am Brett gegen Ole Reller
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Das Meisterturnier
24 Teilnehmer waren
im Meisterturnier am Start. Ein sehr starkes Feld diesmal. Topgesetzt und
etwas dem Feld voraus war Nico „Der Boss“ Stelmaszcyk mit 2368 Wertungspunkten.
Sebastian tummelte sich dahinter in einem Feld von etwa 10 Leuten im 2200er
Bereich. Kein Grund also, nicht (ganz) vorne mitspielen zu wollen. Es würde
halt vieles von der Form abhängen.
Der NSV hatte aufgerüstet:
Meisterturnier, A-Open und fast das komplette B-Open fand an elektronischen
Brettern statt. Auch im C-Turnier gab es noch ein paar davon. Übertragen
wurde mit zeitlicher Verzögerung von ca. 15 Minuten. Man meint anscheinend
immer noch, damit Betrug wirkungsvoll bekämpfen zu können...
In jedem Fall bekämpfte man die Nerven des Mitfiebernden, der noch
vor dem Bildschirm hofft oder wahlweise zittert, während der Kumpel
schon an die Zimmertür klopft: „Hey - schon fertig? Haste noch gewonnen?“
Tag 1
Dramatischer Auftakt
Auftaktrunde gegen
Lucas Kiesel, ein junger 2000er, der nach meinen Daten hier sein Debüt
bei einem Meisterturnier gab. Sebastian hingegen spielt seit 2008 durchgehend
mit. Das Los ergab Weiß. Würde die alte Taktik also ziehen,
mit Weiß zu gewinnen und mit Schwarz Remis zu machen, um ganz vorne
zu landen? In der Partie stand Sebastian zunächst entweder klar besser
oder schlimmstenfalls ausgeglichen, als dann die Abenteuer begannen. Steigen
wir direkt ein in die Zeitnotphase (Fischer kurz, also 40 Züge in
90 Minuten + Inkrement von 30 Sekunden):
Sebastian
- L. Kiesel (2000)
„Der hängende
Turm“
Ich wünsche mir
ja immer, dass es wenigstens einmal nicht entweder ein Drama mit Austausch
von Höflichkeiten oder eine Seeschlange gibt, aber das wird wohl ein
frommer Wunsch bleiben. Im Grunde konnte man ja das Positive sehen: Nur
ein wirklich schlechter Zug in der Partie. Aber was für einer!
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In der zweiten Runde
wartete dann das schwerstmögliche Los: Schwarz gegen die 1 der Setzliste.
Aber Sebastian kam gut aus den Startlöchern. Die weiße Spielweise
wirkte auch nicht so ambitioniert, vor allem die frühe Rückgabe
des eroberten Läuferpaares. Und nach gut 20 Zügen hätte
Sebastian fast gezeigt, wer der Boss ist:
Stelmaszyk
(2368) - Sebastian
Im weiteren Verlauf
konnte Weiß dann eine gute Technik zeigen und die Partie zu der folgenden
Gewinnstellung kneten:
Nico Stelmaszyk - Sebastian
Stellung nach dem
72. Zug von Weiß
Das ist natürlich
gewonnen für Weiß. Die einzige Hoffnung ist scheinbar, dass
Schwarz mit dem Turm irgendwann den Bauern schlägt und Weiß
dann das Matt mit Läufer und Springer nicht kennt… Das war nicht zu
erwarten. Aber es ergaben sich am Ende auch Pattmotive und nach fast 100
Zügen waren die Bemühungen von Weiß zu Ende: Remis!
Das war die Situation,
wo ich noch im Hotel mitfieberte, als es an der Tür klopfte… Mich
erinnert das immer an meinen Nachbarn mit der besseren Antenne, der beim
Länderspiel schon das Tor bejubelt, während sich bei mir der
Spieler gerade den Ball zur Ecke zurechtlegt… Aber ok! Sehr gutes Ergebnis.
Und nebem Drama auch noch (fast) eine Seeschlange. Läuft doch!
Tag 2
Wir legen noch
‘ne Schippe drauf
Und wenn man denkt,
dramatischer ginge es nicht - kennt man Sebastian schlecht. In der Morgenrunde
ging es gegen Torben Knüdel, der etwa bei 2250 rangiert. Hier galt
es, Revanche zu nehmen, war Sebastian der Uelzener doch im letzten Jahr
bei der provisorischen Landesmeisterschaft in die Parade gefahren. Das
Mahl servieren wir hier in zwei Gängen. Zunächst eine gute Möglichkeit
aus der Anfangsphase der Partie:
Sebastian
- Knüdel (2268) (Eröffnungsphase)
Nach dieser ausgelassenen
Chance geriet Sebastian auf die Verluststraße, es kam dann aber,
auch in Zeitnot, zu einer verbissenen Schlacht:
Sebastian
- Knüdel (Zeitnot- und Schlußphase)
Puh… Wieder mal dem
Sensenmann noch so gerade vom Klamottenhocker gehüpft. Aber da hat
der Oldenburger auch wirklich einen zähen Kampf geliefert in mehr
als kritischer Stellung. Eine erschöpfende Schlacht der beiden Kämpfer
hier.
*
2,5 aus 3 sahen gut
aus - aber es hätte auch ganz anders aussehen können zu diesem
Zeitpunkt. Immerhin stand noch das Programm: 1 mit Weiß, ½
mit Schwarz. Nun war in der Nachmittagspartie wieder Schwarz an der Reihe.
Es ging gegen den jungen Philip Reimer, der mit 2,5 aus 3 einen furiosen
Start hingelegt hatte. Dabei war ihm eine glänzende Kombination gegen
FM Laubsch gelungen. Das schauen wir uns später nochmal an.
In der Partie sah es
so aus, als würde Sebastian mit Schwarz sogar mehr als Remis machen...
Er erreichte eine Gewinnstellung mit Mehrfigur und sattem Zeitvorsprung.
Was dann geschah, wird wohl in das persönliche Gruselkabinett eingehen…
Reimer
(2144) - Sebastian
„Der Galerist“
Un-fucking-believable!
Es ist nie gut, für die Galerie spielen zu wollen. Aber nun… In den
ersten Runden (vor allem in der 1. Partie) hatte Sebastian das Glück
des Tüchtigen. Und man ist halt einmal die Windschutzscheibe
und das andere mal die Fliege... Das hätte zu diesem Zeitpunkt die
Tabellenführung bedeutet. Jedoch sollte sich Sebastian fangen und
das Turnier zu einem vernünftigen Abschluss bringen: Es blieb die
einzige Null im Turnier.
Tag 3
Über das Remis
So gab es nun kein
Spitzenspiel, sondern ein Verfolgerduell gegen Jan Pubantz in Runde 5.
Neben der Live-Übertragung wurden die Partien diesmal auch im Netz
(Youtube etc.) von „offiziellen“ Kommentatoren begleitet. Grinsen musste
ich, als die Kollegen meinten, dass nur der Sieger nochmal an die vorderen
Plätze würde anknüpfen können und sinnierten, entweder
würde man bis auf’s Blut kämpfen oder ein Kurzremis machen und
sich mit einem Mittelfeldplatz zufrieden geben.
Da haben sie wohl bei
den ersten 100 Landesmeisterschaften von Sebastian Kartoffeln auf den Augen
gehabt! Sebastian gelang es diesmal, seine Vorbereitung auf’s Brett zu
zaubern und Schwarz mit einem alten Zug von Karpow unter Druck zu setzen.
Erst nach 22 Zügen war Sebastian aus seiner Vorbereitung. Jan Pubantz
zog sich aber stark aus dieser Affäre und erreichte ein „ausgeglichenes“
Springerendspiel. Und nun nahm das Unheil wieder seinen Lauf:
Sebastian
- Pubantz (2288)
Ich frage mich, warum
unser Hotelzimmer eigentlich heile geblieben ist! Mehrfach war ich kurz
davor, ins Mobiliar zu beißen. Aber betrachten wir es rational: Mit
dem mir gegebenen (oder beschränkten?) Urteilsvermögen würde
ich sagen, dass die ersten beiden Gewinnchancen nicht so einfach zu berechnen
waren. g6 hätte man aber durchaus mal finden können, zumal mit
viel Zeit auf der Uhr.
*
So. Bislang war ja
alles nur Spaß! Für die Nachmittagspartie legen wir nochmal
nach mit einer weiteren Schlacht, wo Sebastian haarscharf am Punkt vorgehen
sollte, diesmal machen wir daraus aber auch noch eine Seeschlange… Es ging
mit Schwarz gegen Christian Polster (2233). Keine einfache Aufgabe. Diesmal
wich der Gegner Sebastians Vorbereitung aus. Aber Sebastian meisterte die
Probleme seiner Isolani-Stellung gut. Weiß bot nach 24 Zügen
Remis an. Aber das Thema hatten wir ja schon… Als es in Richtung Zug 40
ging, verkomplizierte sich die Lage:
Polster
(2233) - Sebastian
Sagte ich Seeschlange?
Immerhin fast. Einmal mehr schade, aber man muss auch sagen, dass Sebastian
in der Eröffnung einmal durch eine Zugumstellung genarrt wurde, wonach
Weiß etwas Vorteil hätte haben können. Und am Ende hat
Weiss auch zähen Widerstand geleistet.
Tag 4
Redemption song
Die letzte Runde war
angebrochen. Sebastian lag auf Platz 6. Wichtig war es, zumindest unter
die ersten 8 zu kommen, um sich für das Meisterturnier 2024 zu qualifizieren.
Dazu würde wohl ein Remis reichen, aber die Aufgabe war etwas kniffelig:
Schwarz gegen den Meister von 2019 und 2020, Tobias Vöge. Allerdings
hat Sebastian gegen diesen Gegner eine gute Bilanz und zuletzt auch in
der Liga einen vollen Punkt gegen ihn verbuchen können.
Und endlich gab es
ein Einsehen: Nach sechs zum Teil haarsträubenden Partien („würde
ich Alkohol trinken, hätte ich einen Schnaps gebraucht“) folgte zum
Abschluss ein sehr schöner, positioneller und auch recht zügiger
Sieg. Gegen so einen starken Gegner ist so etwas immer ein Kompliment:
Vöge
(2306) - Sebastian
Das reichte dann mit
4,5 aus 7 sogar noch für Platz 5 und etwas Preisgeld. Und es gab ein
schönes Ratingplus von etwa 25 ELO. Und trotz so vieler Stunden und
Erlebnisse am Brett schien die Kondition nicht das Problem gewesen zu sein.
Ermüdungserscheinungen gab es nicht. Höchstens der Betreuerstab
streckt irgendwann alle Viere.
Das Schachleben
der Anderen
Hier noch ein Blick
auf ein paar sehenswerte Partien aus den Turnieren. Da könnte man
sich natürlich stundenlang durch das Material klicken und bestimmt
eine Menge finden, was berichtenswert wäre. Hier nur ein paar „Perlen“,
die mir so auffielen.
Dynamik schlägt
Turnierfuchs. Meinem Oldenburger Mannschaftskameraden Steffen Schumann
gelang ein schöner Sieg in Runde 2 gegen Nordhorns alten Turnierhasen
Ludger Höllmann. Steffen kommt in Vorteil, als Schwarz in eine Eröffnungsfalle
gerät, und erreicht dann schnell eine Gewinnstellung. Sein Gegner
kämpft, letztlich bis in ein Turmendspiel, aber Steffen lässt
ihn nicht mehr herankommen und zeigt auch im Endspiel eine gute Technik.
Stark! Hier die Tortur in voller Länge mit „leichten“ Kommentaren
versehen:
Steffen
Schumann (1927) - Ludger Höllmann (2055) 1:0
*
Außenseiter
verliert erst auf dem Zielstrich. Aus der Auftaktrunde des A-Turniers
haben wir noch ein weiteres Kapitel aus der Reihe „wie der stärkere
Spieler den schwächeren Gegner am Ende doch noch kriegt“. Da hat man
ja schon wirklich vieles erlebt, auch aus der eigenen Anschauung. Hier
konnte ein Jugendlicher 1800er gegen den mittlerweile FIDE-Meister Tobias
Kügel aus Delmenhorst ein eigentlich nicht mehr verlierbares Endspiel
erreichen. Aber dann passierte wieder einmal ein Wunder…
J.
Kieselbach (1858) - Tobias Kügel (2309) 0:1
*
Jugend kombiniert
den Meister aus. Sehr stark präsentierte sich im Meisterturnier
der 18jährige Philip Reimer, vor allem in der ersten Turnierhälfte,
wo er mit 3,5 aus 4 einen starken Start hinlegte. Sehr eindrucksvoll war
sein Sieg gegen den erfahrenen FM Bernd Laubsch. Laubsch brachte arglos
seinen Turm ins Spiel, als ein Kombinationsgewitter über ihn hereinbrach.
Sehr stark!
Bernd
Laubsch (2290) - Philip Reimer (2144) 0:1
*
Ein phantasievoller
Zug. Abschließend ein toller Zug, der leider nicht gespielt wurde.
Torben Knüdel
- Fabian Stotyn
Weiß hatte soeben
35. Td1-b1 gespielt.
In diesem Zeitnotduell
zweier kämpferischer Spieler nahm Schwarz hier auf f2 und verlor dann
nach dem folgenden Zug b4 schnell. Allerdings hätte es im Diagramm
einen phantasievollen Zug gegeben, der für Schwarz sogar gewonnen
hätte. Schade, dass dies nicht auf das Brett kam! Auflösung am
Ende.
Fazit:
Eigentlich ist alles
gesagt: Am Anfang lief es gut mit, dann kam die verpasste Chance in Runde
4. Am Ende fehlte dann wirklich der eine Punkt zum Titel (starke Buchholzzahl!).
Es war ja auch nicht so, dass Sebastian nach der Null leichtere Gegner
bekommen hätte. Das Programm hätte mit den beiden FM Polster
und Vöge sowie Pubantz mit fast 2300 kaum schwieriger sein können.
Immerhin: Die Performance war an die 2300, es gab trotz der anstrengenden
Partien keine konditionellen Probleme, und auch der Kampfgeist blieb ungebrochen!
Offizielle
Turnierseite
- frank modder,
11.01.2023
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Siegerehrung (v.l.n.r.):
"El Presidente" Michael
Langer, der neue Landesmeister Nico Stelmaszyk,
David Riemay (4.),
Jan Pubantz (3.), Sebastian (5.) und Moritz Gentemann (2.).
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Auflösung Knüdel
- Stotyn:
Schwarz konnte gewinnen
mit 35. … Lb4!! Dies deckte zunächst die Mattdrohung auf b5 durch
Verstellung der b-Linie nebst eigener Mattdrohung durch Dxc3+ nebst Tg1
etc. Nach 36. cxb4 zeigt sich die andere Idee: 36. … Df4+. Der Läufer
hatte auch die Diagonale für die Dame freigemacht. Jetzt hängt
zunächst f2, aber es geht auch direkt dem König an den Kragen:
Decken des Springers mit Kf1 scheitert an Tg1+, und nach 37. Kd1 Txf2 hängt
die Dame und es droht auch Tg1+ etc.
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