Die Tournee geht weiter:
Nach Auftritten in Bologna
und Stuttgart
spielten Sebastian Müer und ich am Wochenende an drei Tagen hintereinander
vor ausverkauftem Haus in Frankfurt. 72 Fans hatten sich im Bürgerzentrum
Eschborn, einem 20000-Einwohner-Städtchen direkt im Dunstkreis der
Main-Mentropole, eingefunden. Die Ticketpreise lagen bei 25-40 EUR, dafür
bekam man 5 Runden nach dem Schweizer System geboten. Zu Gewinnen gab es
auch etwas: Ein Preisfonds von 1800 EUR sorgte dafür, daß auch
Großmeister Meijers und die Internationalen Meister Spirin, Boidman
und Stark im Rahmenprogramm auftraten. Die Setlist enthielt jeweils 40
Titel in zwei Stunden, die Zugabe dauerte nochmal 30 Minuten.
Nunmehr also unsere
Erlebnisse vor Ort. War es ein gelungener Auftritt oder wurden wir vom
Publikum weggefidelt? Auf denn ins Konzert…
Alle Bilder und
Diagramme gibt es diesmal auch in etwas größerer Auflösung
(einfach draufklicken)
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Konzertarena:
Das Bürgerzenturm in Eschborn
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Sitzplatzbestuhlung,
Innenraum
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1. Tag
Sebastian war an Platz
8 gesetzt, es gab also zunächst mal naturgemäß für
ihn schwächere Gegner. Der erste davon war im 1600er-DWZ-Bereich angesiedelt,
hatte aber immerhin noch 1861 ELO. Erwartungsgemäß hatte Sebastian
keine Probleme und erwürgte den Gegner in einer positionellen Partie.
Ich war noch in die untere Turnierhälfte gerutscht und spielte gegen
die Nr. 6 der Setzliste, Izrajlev, ein 2200er. Mir gelang eine sehr gute
Leistung (Sebastian meinte, am Limit dessen, was ich spielen könne)
und erreichte ohne Probleme ein sehr remisliches Endspiel mit je einer
Leichtfigur. Hier patzte ich schließlich einen Bauern ein, aber mein
Gegner machte kurz darauf seinerseits einen Fehler, wonach ich wohl ein
Remis hätte machen können:
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Izrajlev - Modder
Schwarz am Zug
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Izrajlev hatte soeben
Lc6 gezogen. Nun gibt Kd6 statt des von mir eilig gespielten Kd4 exzellente
Remischancen. Nach dem Text verlor ich das Endspiel mit dem Minusbauern.
Diese Partie war noch einmal ein Gruß an das letzte Turnier in Stuttgart
– vier Stunden lang gut gespielt, alles erreicht, und dann gibt es ganz
am Ende doch noch mal den Nackenschlag…
2. Tag
Sebastian hatte am
zweiten Turniertag zwei dramatische Schlachten geschlagen. Die erste davon
war freilich absolut unglaublich. Der Gegner war ein guter 1900er. Sebastian
war also erneut klarer Favorit, konnte aber nichts herausholen und stellte
irgendwann einen wichtigen Zentralbauern ein. Etwas später ging noch
ein zweiter Bauer weg, Sebastian war zwar mit der Dame etwas aktiv, aber
die Stellung war zweifellos verloren. Der Gegner gab dann seine Dame für
Turm und zwei Läufer, dazu holte er sich noch ein paar Bauern. Sebastian
hatte weniger als zwei Minuten für den Rest der Partie, der Gegner
noch ca. 3:30 Minuten und zwischenzeitlich auch einen Damengewinn ausgelassen
– und wie es dann so kommt…
Folgende Position ergab
sich:
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Remy - Müer
Weiß am Zug
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Möglicherweise
steht am Damenflügel noch der ein oder andere weiße Bauer, aber
entscheidend ist die Konstellation am Königsflügel. Sebastian
hatte soeben 1. … De1+ gespielt. Es folgte 2. Kh3 Dh1+, und der arg nervös
wirkende Gegner stellte entsetzt fest, dass er in einem Dauerschachremis
gefangen war ("Oh nee. Remis!?" - zu sich selbst). Nach kurzem zögern
„fügte er sich dann“ ins anscheinend Unvermeidliche, entkorkte 3.
Th2?? mit den Worten „Okay, Remis?“, wonach Sebastian natürlich prompt
Df3:# zog, was den Gegner fast vom Stuhl warf. Was soll man sagen? Aus
dieser Partie noch einen vollen Punkt geholt zu haben, grenzte wirklich
an Hexerei! Sebastian war also einstweilen noch voll im Turnier.
Ein weiteres Drama
in der nächsten 5-Stunden-Schlacht gab es dann in der Nachmittagspartie.
Der Gegner war ein 2000er, Sebastian war also – zudem mit Weiß –
erneut favorisiert. Doch er kam nur in ein ausgeglichenes Endspiel, in
dem hatte der Gegner schließlich Dame und Läufer und Sebastian
nur noch die Dame, dafür aber ein paar Bauern mehr. Mit sehr wenig
Zeit lehnte El Basto ein Remis ab, nach dem Damentausch war allerdings
mehr als eine Punktteilung nicht drin. Vermutlich auf Grund der horrenden
Zeitnot („Sekunden“…) verschachtelte er aber seine Bauern so unglücklich,
daß der Gegner diese mit dem Läufer blockieren und seinen einzig
verbliebenen Bauern zur Dame führen konnte. 2,0/3 war sicherlich nicht
das, was Sebastian angestrebt hatte.
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Aus der Partie
Remy - Müer
Nach dieser Partie
wissen wir, daß ALLES möglich ist...
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The sky is the
limit
Vorschau auf kommende
Attraktionen
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Bei mir lief es am
zweiten Tage besser. Zunächst konnte ich einen sehr schwachen Gegner
leicht besiegen, dann jedoch kam ein annähernd 1900er mit 2000 ELO.
Dieser ging recht früh taktisch zu Werke, aber hatte wohl ein völliges
Blackout und verlor eine Figur, da eine Kombination nicht aufging. Mein
König war danach zwar offen und ich spielte auch nicht sehr sauber,
was mich zwei Bauern kostete, aber ich riß mich dann zusammen und
knetete nach Damentausch das langwierige Endspiel nach 4,5 Stunden zum
Gewinn. 2,0/3 also auch für mich, auf Grund dieser einen Partie sicherlich
etwas positiver zu sehen.
3. Tag
Am Abend vorher wollten
wir uns natürlich auf unsere Gegner der 4. Runde vorbereiten, es erschienen
jedoch merkwürdigerweise keine Paarungen im Netz, was vor den anderen
Runden sehr wohl der Fall war. Also drehten wir mal den Fernseher auf und
schauten beim Parallelkonzert, Eurovision Song Contest genannt, rein. Unser
beider Favorit Aserbaidschan gewann, meine andere Ansage, „Ungarn hat Chancen“,
erwies sich jedoch als Windei. Das nächste Windei gab es dann am Morgen
vor der 4. Runde. Ich sah auf die Auslosung und musste feststellen, daß
man mich mit 1,0 statt mit 2,0 Punkten gepaart hatte. Mein Ergebnis der
3. Runde war als Niederlage eingegeben worden. Das wurde dann natürlich
korrigiert, nicht jedoch die Auslosung. So durfte ich dann in der Vormittagspartie
die Turnier-Omma ohne Wertungszahl auseinanderbrezeln, die ihren einzigen
Punkt gegen Herrn/Frau spielfrei gemacht hatte… Na, ganz toll, Weltklasse…
Oder, wie Sebastian immer zu sagen pflegt: Danke für nichts! Damit
hatte ich zumindest erstaunliche 3,0/4 und war auf Platz 1 der Wertungsgruppe
unter 1900…
Für Sebastian
begann der letzte Tag nicht erfreulicher als seine letzte Runde – das Remis
war für ihn zu wenig. Er spielte gegen einen 2000er mit Schwarz. Der
Weiße spielte durchaus ambitioniert und stark, doch Sebastian hatte
keine Probleme. Allerdings gab die Stellung nicht mehr als ein Remis her.
Okay, also mit Schwarz kann sich El Basto hier sicherlich überhaupt
nichts vorwerfen, aber eine Punktteilung war das Letzte, was er gebrauchen
konnte. Nach dieser aber doch recht frustrierend für uns gelaufenen
4. Runde brauchten wir dann erstmal einen neuen Blickwinkel auf die Sache:
Wir nutzten den Umstand, daß unsere beiden Partien recht schnell
beendet waren, und bestiegen den Main Tower in Frankfurt City. Ach ja,
Frage: Was spielt man in Frankfurt? Na klar: Main-Line…
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Über den
Dächern von Frankfurt.
Das Gebäude ist
etwa 200m hoch.
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Ich und meine
Hauptstadt.
Der Main Tower ist
das vierthöchste Gebäude vor Ort.
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In Griffweite
der höchste Wolkenkratzer Frankfurts:
Der Commerzbank Tower
mit 259m.
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Frankfurt von
seiner anderen Seite.
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Es ergaben sich also
ganz neue Perspektiven, aber fruchten konnte dies nicht mehr. In der letzten
Runde, erneut gegen 2000 DWZ, konnte Sebastian mit Weiß nicht viel
herausholen, der Gegner hatte eine von dessen normalem Repertoire abweichende
Variante gewählt, wonach die ohnehin kurze Vorbereitung auf die Partie
auch noch ins Leere gelaufen war. In dem sich schnell ergebenden Turm-Endspiel
konnte es nur ein Ergebnis geben: Remis.
Meine Partie der letzten
Runde hatte dann wenigstens noch mal wieder mehr Gehalt als meine Partie
davor: Gegen einen 2150er zeigte ich mit Schwarz wie schon in der Auftaktrunde
eine gute Leistung, die Eröffnungsvorbereitung trug hier Früchte,
am Ende aber spielte ich einmal ungenau und er gewann einen Bauern, jedoch
war seine Stellung mit Dame und dem Läuferpaar gegen meine Dame und
zwei Springer immer etwas druckvoller für ihn gewesen. Eine gute Leistung,
leider wieder ohne zählbaren Erfolg.
Am Ende also für
uns beide 3 Punkte. Natürlich hatte Sebastian klar den besseren Gegnerschnitt,
doch kurioserweise landete ich nach verfeinerter Buchholzwertung mit Platz
19 noch zwei Plätze vor ihm in der Abschlußtabelle. Eigentlich
unglaublich, wenn man bedenkt, daß mein Gegner aus Runde 2 ja sogar
hochgelost wurde… Okay, hüllen wir nunmehr lieber den Mantel des Schweigens
über den sportlichen Aspekt des Eschborn Open.
Als Fazit bleibt festzuhalten:
So richtig Musik machen konnten wir nicht, bei den starken Side-Acts spielten
wir zu häufig nur die zweite Geige. Beim nächsten Auftritt sind
wir aber hoffentlich mit besserer (Partie-)Anlage und vielleicht auch neuem
Repertoire am Start.
Hier noch der Link
zur Seite des SC Eschborn mit allen Daten zum Turnier:
Turnierseite
Schachclub Eschborn
- frank modder,
16.05.11
Sonstiges
Frankfurter Impressionen
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Frankfurter Oper.
Mir gefiel das Wolkenspiel.
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