Nachdem
Vladimir Kramnik vor geraumer Zeit im Spiegel ein Interview
gab, stand - sozusagen als Ausgleich - nun auch Garry Kasparov dem Blatt
Rede und Antwort. Es ging dabei nicht nur um Sport, sondern auch um Politik.
In diesem Zusammenhang sei noch auf den Bericht
in der "Zeit" verwiesen. Fazit: Kasparov
will wieder Weltmeister werden. Wer mag daran zweifeln? - fm
"Ich bin gern das Biest"
Garri Kasparow über seinen Ruf
als böser Bube der Schachwelt, seinen Kampf gegen die Rechengewalt
der Computer und eine mögliche Zukunft als Politiker in einem demokratischen
Russland
SPIEGEL: Herr Kasparow,
in der Welt des Boxens heißt es: "They never come back." Wer einmal
den Weltmeistertitel verloren hat, wird ihn nicht mehr zurückerobern.
Gilt das auch im Schach?
Kasparow: Das kann
ich nicht beantworten. Ich kann Ihnen aber etwas über meine Motivation
sagen: Ich bin heiß darauf, mir die WM-Krone wiederzuholen, die ich
über 15 Jahre trug. Und wenn ich motiviert bin, ist es schwierig,
mich zu schlagen.
SPIEGEL: Sie werden
im April 40.
Kasparow: Nett, dass
Sie mich daran erinnern.
SPIEGEL: Für einen
Spitzenspieler ist das im Hochleistungssport schon ein kritisches Alter.
Der vom Weltschachverband Fide anerkannte Weltmeister Ruslan Ponomarjow
ist 19, der von den meisten anderen akzeptierte Weltmeister Wladimir Kramnik
27 Jahre alt. Kramnik bezweifelt, dass Sie es noch einmal schaffen können.
Kasparow: Vielleicht
sollte sich jeder besser um die Qualität seines eigenen Spiels sorgen.
Ich führe nach wie vor die Weltrangliste an, kein Spieler hatte je
eine höhere Elo-Zahl. Und ich komme gerade von der Schach-Olympiade
der Nationalmannschaften im slowenischen Bled, wo man mich für die
beste Einzelleistung aller Spieler prämiert hat.
SPIEGEL: Kramnik hatte
beim SPIEGEL-Gespräch vor sechs Wochen kaum ein gutes Wort für
Sie übrig. Es sei unmöglich für einen Schach-Konkurrenten,
mit Ihnen befreundet zu sein. Weil er sie vor eineinhalb Jahren im WM-Kampf
besiegt habe, sähen Sie ihn als seinen Feind. Hassen Sie Kramnik wirklich?
Kasparow: Er war mein
Schüler, er verdankt mir viel. Davon will er heute nichts mehr wissen,
und das zeugt nicht gerade von Größe. Ich habe seine Leistung
im WM-Kampf gegen mich ausdrücklich gewürdigt, allerdings spielte
ich da auch sehr schwach. Seither habe ich mir durch zahlreiche Turniersiege
und meine Stellung an der Spitze der Weltrangliste längst ein Anrecht
auf einen Rückkampf erworben. Diese Revanche verweigerte Kramnik,
obwohl seine Resultate weit hinter meinen blieben. Er hat als Weltmeister
Verpflichtungen, und er hat vor dieser Herausforderung versagt.
SPIEGEL: Er sagt, Sie
müssten sich wie jeder andere qualifizieren. Aber nun scheint einem
erneuten Duell nicht mehr viel im Wege zu stehen - die Querelen zwischen
den konkurrierenden Schachverbänden sind beigelegt, ab Herbst 2003
wird es nur mehr einen Weltmeister geben.
Kasparow: Dazu muss
Kramnik seinen Herausforderer, den Ungarn Peter Leko, schlagen, ich muss
im Zweikampf Ponomarjow bezwingen. Erst dann käme es zum Showdown
zwischen uns. Ich schätze die Chancen dafür etwa auf 50 zu 50.
SPIEGEL: Da Sie doch
sicher von Ihrem Sieg über den Ukrainer überzeugt sind ...
Kasparow: ... ich werde
einen Teufel tun, ihn zu unterschätzen ...
SPIEGEL: ... rechnen
Sie also mit Kramniks Ausscheiden
Kasparow: Warten wir
es ab.
SPIEGEL: Damit es zu
der Einigung über dem WM-Modus kam, haben Sie eine bittere Pille geschluckt:
Sie mussten sich mit der Fide versöhnen, einer Organisation, von der
Sie einst sagten, ihre Funktionäre seien korrupt wie die "Paten einer
Mafia". Hat sich daran wirklich etwas geändert - oder haben Sie einfach
nur eingesehen, dass ohne die Herren nichts geht?
Kasparow: In ihrer
Haltung mir gegenüber hat sich etwas getan. Sie haben viele meiner
Anregungen akzeptiert.
SPIEGEL: Der ehemalige
Fide-Chef Florencio Campomanes, der 1995 in die Kasse des Verbands gegriffen
haben soll und zurücktreten musste, ist immer noch Ehrenpräsident
und lebt gut von und mit dem Club. Der neue Chef Kirsan Iljumschinow aus
der russischen Republik Kalmückien ist ein millionenschwerer Geschäftsmann
mit dubiosen Geldquellen. Seit wann tolerieren Sie solche Partner?
Kasparow: Es geht mir
nicht um Personen, sondern um die Zukunft des Schachs.
SPIEGEL: Sie stehen
vor einer zweiten großen Revanche. Im Januar werden Sie in Jerusalem
gegen das Schachprogramm "Deep Junior" spielen, ein Parallelrechnerprogramm
wie das von "Deep Blue", gegen das Sie 1997 in einem spektakulären
Zweikampf "Mensch gegen Maschine" verloren haben. Wie bereiten Sie sich
vor?
Kasparow: Sehr gründlich.
Die Computer werden immer besser. Ich muss versuchen, Schwachstellen zu
finden ...
SPIEGEL: ... was ja
Kramnik in seinem Kampf gegen die Maschine "Deep Fritz" im letzten Monat
in den ersten Partien gut gelungen ist. Er tauschte die Damen früh,
und es kam zu Stellungen, bei denen das Programm hilflos wirkte. Allerdings
schlug es zurück, erkämpfte sich ein 4:4.
Kasparow: Die Schachwelt
hat von diesem Duell nicht profitiert. Kramnik konnte die Maschine vorher
bis ins Detail studieren, das Programm blieb während des Wettkampfs
eingefroren - ein riesiger Vorteil gegenüber meinem Computerkampf
1997, wo nach meiner festen Überzeugung während des Spiels noch
Menschen ins Programm eingegriffen haben und ich keine der früheren
Computerpartien kannte. Dass Kramnik jetzt den Wettkampf dennoch nicht
gewann, ist erstaunlich.
SPIEGEL: Sie neigen
dazu, Ihren Gegner am Schachbrett durch aggressives Spiel zu verblüffen,
ihn auf komplizierte falsche Fährten zu locken, ihn durch überraschende
Wendungen zu zerstören. Das hat manchem Kontrahenten am Brett schweißnasse
Hände verschafft und Ihnen, wohl in Verbindung mit Ihrer gelegentlichen
Arroganz, den Spitznamen "das Biest von Baku" eingebracht. Kränkt
Sie das?
Kasparow: Wenn es dem
Schach dient, bin ich gern ein Biest.
SPIEGEL: Aber Computer
bekommen keine schweißnassen Hände und haben auch keine Angst
vor der Demütigung.
Kasparow: Richtig.
Sie machen einfach immer cool weiter und rechnen und rechnen. Wenn sie
in bestimmten Endspielen Wendungen erzwingen können, spielen sie wie
Gott - fehlerlos. Dennoch glaube ich, dass ich derzeit mit taktischen Manövern
gute Chancen habe, gegen die Maschine zu gewinnen. In einigen Jahren wird
das vielleicht bei einem längeren, ermüdenden Wettkampf nicht
mehr so sein. Aber auf absehbare Zeit wird der beste Schachspieler immer
mal eine Partie gegen den Computer gewinnen. Darauf kommt es an. Auf diese
eine Partie, in der wir Menschen uns durch Kreativität durchsetzen
- solange das geht, sind wir noch vorn.
SPIEGEL: Und Sie brauchen
wirklich nicht den menschlichen Faktor, um optimal zu spielen? Sie müssen
sich nicht aufputschen, den Gegner auf der anderen Seite des Bretts dämonisieren?
Kasparow: Sie hängen
einem Vorurteil nach.
SPIEGEL: Ihren langjährigen
Widerpart Anatolij Karpow haben Sie einmal "Kreatur der Dunkelheit" genannt.
Kasparow: Die Auseinandersetzung
mit Karpow war politisch geprägt. Er stand für das kommunistische
System, wurde von dessen Repräsentanten gehätschelt. Ich war
der Oppositionelle. Jeder Schachweltmeister spiegelt auch die gesellschaftlichen
Verhältnisse wider. Kramnik steht für die Börsen-Generation
des Neuen Markts, ideologiefrei, zahlenfixiert.
SPIEGEL: Mit der Neue-Markt-Euphorie
ist es längst vorbei.
Kasparow: Sie sagen
es.
SPIEGEL: Es fällt
auf, dass viele Weltklassespieler keine anderen Interessen haben als Schach.
Die 64 Felder sind ihr Parallel-Universum, ihre Welt-Flucht.
Kasparow: Das ist sicher
so, und ich bedauere es. Schach ist für mich ein wichtiger, zentraler
Bestandteil meines Lebens. Aber es ist nicht alles. In den Jahren nach
der Wende in der Sowjetunion war ich sehr engagiert, habe die Demokratische
Partei mitgegründet. Diese Zeiten der Begeisterung sind vorbei, aber
mein politisches Interesse ist deshalb nicht erlahmt.
SPIEGEL: Sie sind Kolumnist
des konservativen "Wall Street Journal".
Kasparow: Ich lasse
mich nicht in politische Schablonen pressen. Ich bin allerdings der Meinung,
dass US-Präsident Bush bei seinem Kampf gegen den weltweiten Terror
jede Unterstützung verdient. Ich kann da das Zögern der Europäer
nicht verstehen. Wir sollten keinen Kreuzzug gegen den Islam führen.
Aber ein Teil der muslimischen Welt, die militanten Fundamentalisten, haben
uns den Krieg erklärt. Und gegen die müssen wir mit aller Härte
vorgehen. Nicht nur die Terroristen sind unsere Feinde, sondern auch diejenigen,
die Terror fördern, auch wenn sie in so genannten moderaten arabischen
Ländern leben.
SPIEGEL: Billigen Sie
das Vorgehen der russischen Regierung in Tschetschenien?
Kasparow: Ich habe
wenig Zweifel, dass sich unter den tschetschenischen Rebellen auch eine
kleine Anzahl al-Qaida-Terroristen befinden, und dass sie die Unterstützung
von radikalen islamischen Gruppen genießen. Die tschetschenischen
Rebellen sind eine nationale Bewegung, die auf Ideologie basiert, ähnlich
wie die IRA in Nordirland und die ETA in Spanien. Anders als al-Qaida stellen
sie keine Bedrohung der zivilisierten Welt dar. Das Tschetschenien-Problem
lässt sich nicht allein mit militärischen Mitteln lösen,
Putins Politik stürzt das ganze Land in eine Katastrophe.
SPIEGEL: Was ist Ihr
Traum für Russlands Zukunft?
Kasparow: Ich träume
von einem wirklich freien Russland. Es sollte nicht weiterhin von KGB-Offizieren
regiert werden, die das alte Denken ja mit der Muttermilch aufsaugten und
bislang nicht aus ihren Adern spülten. Zwar hat Russland ein gewähltes
Parlament und manche andere demokratische Einrichtungen. Aber ihnen fehlt
die Grundlage, den Willen des Volkes zu erfüllen. Und noch ist es
nicht so weit, dass die Russen sich ihre Rechte erzwingen. Im Gegenteil,
ich erkenne gegenwärtig: Die Angst kehrt wieder.
SPIEGEL: Sie leben
in Moskau und gelten vielen in Ihrer schachbegeisterten Heimat als Vorbild.
Nach Ihrem kurzen Gastspiel in der aktiven Politik vor einem guten Jahrzehnt
und Ihrer Unterstützung für Jelzin im Wahlkampf 1996 sind Sie
kaum mehr in den Vordergrund getreten. Wäre es nicht an der Zeit,
sich um ein Amt zu bewerben?
Kasparow: Politik macht
zurzeit in Russland keinen Sinn, wird durch bürokratische Kompromisse
geprägt. Ich werde nur dann in die Politik gehen, wenn ich wirklich
etwas verändern, einen Unterschied für mein Land machen kann.
Die Chancen dazu sehe ich im Moment nicht. Außerdem habe ich mir
in der Welt des Schachs noch sehr viel vorgenommen.
SPIEGEL: Sie glauben
an den erzieherischen Wert des Spiels?
Kasparow: Ja. Schach
sollte überall auf der Welt Schulfach werden. Es fördert die
geistige Auseinandersetzung. Es lehrt die Demut in der Niederlage.
SPIEGEL: Gilt das für
Jungen wie Mädchen? Sie haben ja einmal gesagt: Frauen sind von Natur
aus keine außergewöhnlichen Schachspieler.
Kasparow: Mein Gott,
dieser Satz geht mir nach. Er ist oft fehlinterpretiert worden. Ich wollte
damit nur eine Bestandsaufnahme machen; es ist nun einmal Fakt, dass es
mit Ausnahme von Judith Polgar keine Frau in der Schach-Weltklasse gibt.
Aber der Abstand zwischen den Geschlechtern wird deutlich geringer, die
Zeiten, als ein Weltmeister wie im letzten Jahrhundert einer Frau eine
Figur vorgeben konnte, sind endgültig vorbei. Und bei meinem Programm
für Schulen geht es um den Breitensport Schach. Natürlich profitieren
Mädchen in ihrer Erziehung davon genauso wie Jungs.
SPIEGEL: Sie spielen
Schach seit Kindesbeinen, trainierten schon mit fünf Jahren. Die Begeisterung
für eine geniale Kombination hat nie nachgelassen?
Kasparow: Das Glück
über einen bahnbrechenden Zug geht nie vorbei. Aber ich hatte meine
Tiefpunkte. Das hing mit der Motivation zusammen, damit, dass ich alles
erreicht, jeden Titel, jedes Großmeisterturnier gewonnen hatte. Ich
war satt geworden. Wer jeden Krieg gewinnt, muss seine Waffen nicht mehr
schärfen.
SPIEGEL: Sie müssten
gegenüber Kramnik und dem Schachcomputer im Grunde eine gewisse Dankbarkeit
empfinden. Sie verschafften Ihnen die Erkenntnis, dass auch Sie bezwungen
werden können - und damit einen entscheidenden Motivationsschub.
Kasparow: Sie haben
Recht. Meine Mutter hat das auch gesagt: Gut, dass du verloren hast. Und
natürlich habe ich alle beglückt, die sich an der Schadenfreude
weiden. Wenn einer seinen Sport so lange dominiert, ist das vielleicht
verständlich.
SPIEGEL: Formel-1-Weltmeister
Michael Schumacher erlebt das gerade auch.
Kasparow: Und wie lang
beherrscht der den Rennsport, fünf, sechs Jahre? Bei mir war das dreimal
so viel. Dann kam der Rückschlag. Nun aber ist Schluss damit, dass
ich den Menschen eine Freude mache. Ich will wieder gewinnen - alles.
SPIEGEL: Herr Kasparow,
wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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