- Niedersächsische Landesmeisterschaften, Verden, 2017 -
04.01. - 08.01.

 
Großangriff auf den Titel
Sebastian zeigt sein bestes Schach
 
Teil 2 der epischen Saga zum Jahreswechsel

Präludium

Bei der Landesmeisterschaft in Verden wollte Sebastian endlich einmal den Titel haben. Mehrfach war er bereits auf dem Treppchen gelandet, wobei er auch sonst immer eine gute Leistung bei diesem Turnier abgeliefert hat. In den beiden letzten Jahren schrammte Bast jeweils extrem knapp am Titel vorbei. 2015 hätte er in der letzten Runde Spartak Grigorian mattsetzen können, remisierte aber am Ende nur in einer harten Schlacht, und im letzten Jahr hatte er in der vorletzten Runde eine völlige Gewinnstellung gegen Tobias Vöge, auch hier gelang ihm am Ende nur ein Remis. Ein Sieg hätte sicherlich eine Topchance auf den Titel bedeutet.

In diesem Jahr nun also sollte es soweit sein. Das Meisterturnier wurde erneut mit 20 Teilnehmern ausgetragen in 7 Runden CH. Darüber hinaus kämpften über 200 weitere Spieler in 3 Open. Sebastian trat mit gehörig Rückenwind aus dem Weihnachtsturnier in Erfurt an, ich selber beschränkte mich diesmal allein auf die Rolle des Sekundanten. Das war genau richtig, denn bereits so war es z.B. sehr schwierig, den „Schützling“ pünktlich ans Brett zu bekommen - 10 Minuten Verzug gab es eigentlich jedesmal!

Sebastian hatte in der Auftaktrunde Weiß, was darauf hoffen ließ (es traf auch ein), dass er am Ende viermal mit dieser Farbe spielen durfte. Unsere Strategie war es, mit Weiß zu gewinnen und mit Schwarz Remis zu machen. Unsere? Na gut, der Meister lässt sich natürlich nicht in seine Pläne hineinreden… aber anders als Bundestrainer Uwe Bönsch war mir nicht nur das Teekochen vorbehalten (wie Arkadij Naiditsch einst meinte). Nein, natürlich auch Kaffee…
 

Die Hauptfigur dieser Geschichte
Hier in seiner Partie der 4. Runde gegen Matthias Tonndorf

Schnellschachmeisterschaft

Am 4.1. begann alles mit der Schnellschachmeisterschaft. 7 Runden CH mit einer Bedenkzeit von 10 Minuten + 5 Sekunden Inkrement. Sebastian spielte hier eigentlich ganz vernünftig, aber verlor gleich in der 2. Runde gegen einen Gegner mit ca. 1900 DWZ. Dieser wollte auf Gedeih und Verderb nur Remis, auch nachdem Sebastian inkorrekt eine Figur geopfert hatte. Im Endspiel T+L vs. T+L mit 4 zu 2 Bauern (ungleichfarbige Läufer, die beiden Bauern von Bast sind zudem Doppelbauern) kam das dritte Remisangebot… - warum? Wie will man das verlieren? Bast lehnte aus Frust ab und musste natürlich am Ende den Punkt quittieren. Gegen Ende des Turnieres gab es eine zweite Null in einer umkämpften Partie, es blieb dann der 8. Platz mit 5,0/7 von 81 Teilnehmern. Mir „gelangen“ 4,0/7 und Platz 34, es war angesichts der Performance eine Enttäuschung.

Die Landesmeisterschaft
Tag 1

Am Folgetag begann die Landesmeisterschaft. Gespielt wurde immer um 9:30 Uhr vormittags und um 15:30 Uhr nachmittags. Es stellte sich heraus, dass Sebastian in jeder Vormittagspartie mit Weiß und nachmittags mit Schwarz spielen sollte. Somit blieb immer der ganze Abend (bzw. die Nacht), um mit Weiß „streng“ vorzubereiten - diese Investition sollte sich auch auszahlen. In die Schwarzpartien ging man dann etwas "leichter" bewaffnet, aber es ist vielleicht doch die bessere Alternative. Man kann nunmal nicht alles haben.

Am Vorabend der ersten Runde rätselten wir über den ersten Gegner - die Vorbereitung lief aber ins Leere, da es keiner der erwarteten Namen wurde. Grund war, dass die Auslosung nach ELO vorgenommen wurde, und nicht, wie in den letzten Jahren, nach DWZ. Dies stand aber weder in der Ausschreibung, noch wurde irgendwo darauf hingewiesen. Ich muss das hart kritisieren. Immerhin ist dies eine Landesmeisterschaft... Nun gut!

Gegner am Vormittag des 5.1. war Wilfried Härig, ELO 1991, ein Mann, der sich im Pokern einen Namen gemacht hat. Sicherlich nicht im Favoritenkreis dieses Turnieres, aber bestimmt mit dem Anspruch, Leistung abzuliefern, was ihm am Ende mit 4,0/7 auch gelang. Sebastian schien in der Partie im Mittelspiel nicht so viel zu haben, immerhin etwas Raumvorteil im Zentrum. Er wiederholte ein paar Mal die Züge, aber wollte natürlich kein Remis. Das Ende kam dann sehr plötzlich:
 

Müer - Härig
Stellung nach dem 26. Zug von Weiß

Hier hatte Schwarz die falsche Idee: 26. … Lxd4 27. Lxd4 Sxf3 28. Dxf3. Schwarz dachte wohl in der Vorausberechnung, der g-Bauer müsse nehmen, die Reihe war aber ja nach dem vorhergehenden Schlagzug frei. Nunmehr ist Schwarz wohl bereits verloren. Es droht La7 nebst Txb7. Nach 28. … Te-c8 setzte El Basto aber sofort den Blattschuß mit 29. Txd7.

In der Nachmittagspartie wartete einer der Mitfavoriten, der FM Florian Armbrust (2284). Es gelang Sebastian, das weiße Spiel gut zu neutralisieren. Am Ende war dann folgende Stellung erreicht:
 

Armbust - Müer
Stellung nach dem 19. Zug von Weiß

Schwarz hat hier wohl keine Probleme, das Spiel von Weiß auf dem Königsflügel kommt nicht richtig in Fahrt. Sebastian kann sogar selbst aktiv werden, was er auch tat: 19. … Sd4 20. Sxd4 Lxd4 21. Kh2 Lg7. Ein prophylaktischer Rückzug. Weiß spielte 22. Dg2 und bot Remis an. Ok, den Engines gefällt die schwarze Stellung ganz gut, aber in der Praxis ist es noch einmal was anderes, die Bedenkzeit spielt auch immer eine Rolle, außerdem hatte Bast noch eine leichte Erkältung in den Knochen, was sich aber legen sollte. Er nahm das Angebot an, es passte ja auch voll in den oben skizzierten Plan.

Tag 2

Mit Weiß erwartete Sebastian dann den jungen FM Christian Polster (2242). Die lange nächtliche Vorbereitung führte uns in alte Gefilde von Bobby Fischer (jedenfalls war das mein Gefühl), es gab die Göteborg-Variante und Poisoned-Pawn - Bast versuchte es einmal mehr mit 1. e4. Es kam dann der vergiftete Bauer, dort aber eine Variante, auf die wir in der Vorbereitung nicht den Schwerpunkt gelegt hatten.
 

Müer - Polster
Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz.

Hier ist nun Ld3 wohl ganz gut. Sebastian wählte aber „standardmäßig“ 15. Lxf6 gxf6 16. Le2 (besser war wohl Se4). Nun wäre Dd6 wohl ganz okay für Schwarz gewesen, aber es folgte 16. … Ld7. Jetzt war Se4 sehr stark, aber auch das von Sebastian gewählte 17. Lh5+ war giftig. Es folgte 17. … Kd8 18. Se4 De7 19. Da5+ Kc8 20. Db6 Dd8 21. Db7#. Schwarz hatte wohl Da5+ nicht auf dem Schirm, am Ende erlaubte er das Matt. Ich konnte es mir nicht verkneifen, im Hotelzimmer „Poison“ von Alice Cooper anzuspielen!

In der Nachmittagsrunde traf Bast mit Schwarz auf den Titelverteidiger Matthias Tonndorf (2254). Gegen ihn war noch eine Rechnung offen von der Deutschen Meisterschaft zwei Monate zuvor, wo Bast mit Weiß ganz gut stand und noch verlor. Matthias, ein Kämpfertyp, kam aber nicht mit den erwarteten Sachen um die Ecke, sondern eröffnete mit 1. b3. Damit hatten wir nicht unbedingt gerechnet, aber Bast hat es auch selber schon gespielt und kennt sich da ein wenig aus. Nach 12 Zügen wurde die folgende Stellung erreicht:
 

Tonndorf - Müer
Stellung nach dem 12. Zug von Weiß

Matthias hatte soeben 12. Sb-c3 gespielt. Es folgte ein Remisangebot. Die Stellung sollte als völlig ausgeglichen anzusehen sein, aber Sebastian war auf der Uhr zwanzig Minuten hinten, und außerdem passte das Remis in den Turnierplan. Eine pragmatische Entscheidung.

Tag 3

Ein guter Kunde wartete in der Vormittagspartie - Tobias Vöge (2257). Bast hatte gegen ihn 2,5/3 vor der Partie. Aber es würde eine schwierige Aufgabe werden. Tobias war zu diesem Zeitpunkt als einziger Spieler bei 3,5 Punkten im Turnier, auch er war einer der Mitfavoriten auf den Landesmeistertitel. Zum dritten Mal im Turnier bereiteten wir 1. e4 vor. Den Schwerpunkt bildeten sizilianische Varianten, doch der Gegner wählte die Französische Verteidigung. Das war keine Überraschung, auch diese war auf dem Schirm. Hier spielt Tobias gerne die MacCutcheon-Variante.

Dies ist auch eine Lieblingswaffe von Bast selber, war es zumindest. Er zeigte in dieser Partie, dass er auch mit Weiß diese Eröffnung spielen kann. Im Grunde stand Schwarz bereits nach 13 Zügen kritisch und nach 15 Zügen auf Verlust. Sebastian beendete die Partie in gutem Stil:
 

Müer - Vöge
Stellung nach dem 15. Zug von Schwarz

Der schwarze König findet hier einfach keinen sicheren Hafen. Bast kann hier Td1 spielen oder aber erst rochieren, was wohl noch strenger ist. Er spielte dann auch so: 16. 0-0 Sxe5 17. Lxd7+ Sxd7 18. Tf-d1 Df5. Das erlaubte den Schwenk zum Wesentlichen: 19. Da4 0-0-0. Hinein ins Vergnügen, aber es gab bereits nichts besseres mehr. 20. c6 Sb8 21. cxb7+ Kxb7 22. Td-b1+ Ka8. Weiß steht völlig auf Gewinn, aber man kann sich noch verrennen. Nicht so Sebastian, der eine Qualle warf: 23. Txb8+ Kxb8 24. Dc6 Df3 25. Tb1#. Schwarz hat mit Df3 einfach das Matt erlaubt, was auch immer von etwas Respekt für die Partie des Gegners spricht.

Eine meisterliche Partie. Auch eine landesmeisterliche? Die Weißmaschine lief jedenfalls auf Hochtouren. Ein Remis musste nun noch her - aber es ging am Nachmittag mit Schwarz gegen den üppigsten Gegner: IM Sebastian Plischki (2347). Hier hat Bast eine schlechte Bilanz, er ist da mal selber der Kunde. Plischki war schwer ins Turnier gestartet mit 0,5 Punkten aus zwei Runden, aber danach startete er ein Comeback und war wieder mit im Titelrennen.

Unser Held wurde etwas überrascht vom weißen Aufbau, der eher ruhige Züge trug, aber er machte sich ganz gut und konnte wohl Ausgleich erzielen, hier ein Eindruck nach dem 21. Zug von Weiß:
 

Plischki - Müer
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß

Hier hat Schwarz eigentlich nicht so viele Probleme, Weiß hat es zumindest nicht leicht, etwas Aktives vorzuweisen. Bast kam jedoch mit 21. … Lb5 etwas vom rechten Weg ab. Der Läufer fehlte in der Folge ein wenig auf dem Königsflügel, wenn man das mal so vereinfacht ausdrücken kann, und Sebastian geriet dort unter die Räder. In bereits kritischer Lage eilte sein König seinem g-Bauern zu Hilfe, aber wurde in ein Mattnetz verstrickt, welches nur das Opfer einer Figur durchtrennen konnte. Eine bittere Pille sicherlich in diesem Moment - die Niederlage bedeutete, dass der 1. Platz nicht mehr zu erreichen war. Im Falle eines Remis hingegen wären die Chancen sehr gut gewesen, da Bast die beste BHZ des gesamten Feldes hatte. Und dies zeigt auch letztlich, dass der Turnierplan (Sieg mit Weiß, Remis mit Schwarz) goldrichtig war.

Tag 4

Sebastian ließ sich aber nicht unterkriegen. Er wollte das bislang starke Turnier auch auf einer positiven Note beenden, und nicht, wie bei der DEM und der PSM, noch in der letzten Runde einen Schlag ins Kontor kassieren. Das hätte er auch nicht verdient gehabt, außerdem ging es hier ja noch um Preisgeld. So wurde wieder eine längere, nächtliche Analysesitzung fällig vor der letzten Partie gegen das junge Talent Jari Reuker (2143).

Jari hatte noch Chancen auf den Turniersieg - dazu musste er gegen Sebastian gewinnen und gleichzeitig hoffen, dass Florian Armbrust nicht gegen Sebastian Plischki gewinnen würde (was auch nicht eintrat). Aber gegen einen El Basto in der Form dieses Turniers war es eine harte Nuss für Jari. Bereits im August in Bremen schnappte Sebastian mit einem Sieg gegen diesen Gegner in der Schlussrunde diesem den ersten Preis beim Hans-Wild-Turnier weg.

Bast wechselte den Aufschlag und ging weg von 1. e4. Er kann vieles spielen und hat auch eine Spürnase, um in den gegnerischen Repertoires die richtigen Ansatzpunkte zu finden. Schauen wir uns die Endphase dieser Partie an:
 

Müer - Reuker
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz

Hier geht es sicherlich auch immer um Nuancen. Weiß setzte hier thematisch fort mit 20. g4, und Schwarz muss zeigen, wo er Gegenspiel bekommt. 20. … Se8 21. g5 Sd6 22. Tf3 g6 23. Db2. Ein starker Zug. Weiß hat „aus dem Nichts“ ein Gefecht losgetreten. Vielleicht war g6 nicht das Beste, Idee Lf8-g7, aber ohne g6 hat Weiß auch Th3 nebst Dh5 usw. 23. … f6 war bereits der einzige Zug. Es folgte 24. h4 Tf8 25. h5. Sebastian hatte hier noch knappe 8 Minuten bis zur Zeitkontrolle im 40. Zug, sein Gegner ca. 13 oder 14 Minuten. Aber das änderte sich in der Folge.

Die Lage ist kompliziert, und Schwarz muss eine harte Verteidigung führen. Aber man kann nicht sagen, dass Sebastian alles auf eine Karte setzte. Er kontrolliert das Geschehen. 25. … Ld8 war schon sehr kritisch: 26. hxg6 hxg6 27. Th3 Dg7 28. Dg2. Ein Schwenk mit Tempo (der Sc6 hängt) auf den Flügel, auf dem die Musik spielt. 28. … Sa5 29. Sf3. Eine weitere Kampfeinheit wird in die Schlacht geworfen. 29. … Kf7 30. gxf6 Lxf6. Nunmehr folgte nicht der Skorpionstich, sondern das fürchterliche 31. Sg5+ - ein Reiter der Apokalypse.

Eine unheimlich starke Angriffspartie von Sebastian, der damit in gewisser Weise seine starke Leistung in diesem Turnier krönte. Eine Performance von knapp unter 2400 sowie der Titel des Vizelandesmeisters sprangen am Ende dabei heraus. Für mich hat Sebastian in diesem Turnier das stärkste Schach gespielt, und auch wenn es mit dem ersehnten Titel nicht geklappt hat, so überwiegt am Ende doch die Freude über das Erreichte.

Fazit

Die Strategie in diesem Turnier war genau richtig, leider gab es da die Niederlage gegen Plischki. Man muss vermutlich ohne Verlust durchkommen, um das Turnier zu gewinnen. Dies gelang Florian Armbust, der in der letzten Runde mit Weiß ein Remis gegen Plischki schaffte und ein würdiger Landesmeister wurde. Bei Bast fiel auf, dass sein Spiel nicht nur reifer, sondern seine ganze Herangehensweise pragmatischer wurde. Mit nur 25 Zügen im Durchschnitt hat er ein für ihn sehr ungewöhnliches Turnier gespielt, in Erfurt waren es im Vergleich dazu noch 44 Züge. Man muss halt wissen, wo man kämpfen sollte und wo auch ein Remis manchmal kein so schlechtes Ergebnis ist.

Letzten Endes ist aber alles hart erarbeitet, ich erinnere an die nächtlichen Sitzungen, die in der Regel bis 2 Uhr dauerten. Die Weißsiege waren häufig recht kurz, sodaß vor den Nachmittagsrunden jeweils noch genügend Zeit zur Regeneration blieb. In dieser Form können wir sicher noch viele interessante Partien von Sebastian erwarten!

Zuletzt noch der Link zur Turnierseite:

Offizielle Turnierseite

- frank modder, 09.01.2017
 

Siegerehrung, von links nach rechts:
El Presidente Michael S. Langer, Matthias Tonndorf, Florian Armbust, Sebastian Plischki, El Basto, Jari Reuker

****