Wenn irgendwo ein
Weltklasseturnier stattfindet, wird meist auch irgendwo ein Kiebitz aus
Ostfriesland gesichtet. Nach Dortmund 2003
und 2004 sowie Mainz 2005 war diesmal das Ziel Wijk aan Zee. Am 20.01.
machten Sebastian Müer und ich uns auf den Weg in das kleine holländische
Küstenstädtchen zum jährlichen Corus-Turnier,
welches mittlerweile zum bedeutendsten Turnier der Welt aufgestiegen ist.
Wir konnten gar nicht glauben, daß bis dato der Aserbaidschaner Radjabov
mit erstaunlichen 5/6 das Feld dominierte, das mußte man sich doch
mal persönlich vor Ort ansehen.
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Der rote Punkt
markiert
Wijk aan Zee.
Liegt etwa 260 km
von der deutschen Staatsgrenze.
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Die De Moriaan
Halle beherbergt drei
Meister- und
div. Amateurturniere
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Wijk liegt ca. 20
Minuten nordwestlich von Amsterdam. 260 km und ca. 2,5 Stunden Fahrzeit
meinte der Routenplaner. Stimmte auch fast, dummerweise war wegen eines
Unfalls genau die Abfahrt bei Haarlem gesperrt, die wir fahren mußten.
Naja, wenigstens Haarlem, und nicht die Bronx. Somit hangelten wir uns
manuel weiter bis zur Nordseeküste und dann irgendwie aufwärts
bis nach Ijmuiden. Dort war aber finito, da uns ein Gewässer im Weg
war. Aber es gab eine Fähre, und irgendwann waren wir dann auf der
Zufahrtsstraße zu Wijk. Doch oh weh - ein Verkehrsunfall und eine
Vollsperrung machten uns abermals zu schaffen.
Ich vermutete mittlerweile
schon mehr - hatte vielleicht Topalovs Manager Danailov sämtliche
Zufahrtsstraßen unter Kontrolle, um Topas Gegner Ponomarjov die Anfahrt
zu verunmöglichen? Wer weiß... Aber auch das schafften wir,
und nach gefühlten 4 Stunden kamen wir doch noch in Wijk an. Gegenüber
dem Spiellokal, der De Moriaan Halle, lagen die Analysezelte, welchen wir
zuerst einen kurzen Besuch abstatteten. Sebastian nutzte dann eine Bank
vor dem Zelt, um Fischers berühmtes Parkbankinterview nachzustellen:
"I pressed for the win, you know..."
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Bobby Fischer
bei seinem
berühmten Interview
auf der Parkbank
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Sebastian Müer
imitiert Fischer
vor der Turnierarena
in Wijk aan Zee
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Nun aber rein in die
Halle. Der Eintritt war übrigens frei, dafür erlebte man die
Partien nur unkommentiert. Eine profunde Analyse konnte man sich aber im
besagten Zelt anschauen, wo die Partien auf einer Bühne kommentiert
wurden. In der Halle schlängelten wir uns zunächst durch einige
Buchstände durch und dann waren wir drin im Mekka der Denksportler.
Mehrere hundert Spieler vergnügten sich in einem Open, etwas abgeschottet
saßen die Meister, die in einem A-, B- und C-Turnier kämpfen.
Deren Partien konnte man auf großen Bildschirmen verfolgen, aber
auch so kam man ziemlich nah ran. Und fotographieren war natürlich
auch nicht verboten.
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Eingang zum "Corus
Chess Tournament 2007".
Links die Bilder früherer
Gewinner.
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An der Deko kann
man noch feilen: Dachten sich auch wohl Weltmeister Wladimir Kramnik und
der Inder Vishy Anand, welcher schon genervt auf seinen Tisch blickte.
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Wir sahen also alle
Meister leibhaftig. Alle, bis auf Tiviakov und Karjakin. Auf Grund unseres
Car Jackin' auf der Anreise waren wir ja etwas zu spät und unfairerweise
hatten sich die beiden bereits auf ein Remis verständigt. Ansonsten
war aber alles normal: Kramnik tigerte beständig umher, immer mit
einem Getränk in der Hand; Topalov hatte sich am Brett in seine Hände
eingegraben; Carlsen konnte sich nicht entscheiden, ob er seine Sportjacke
nun an- oder ausziehen soll; Navara grinste vor sich hin und Anand war
wieder mal die Ruhe selbst.
Gegen den führenden
Radjabov kam "Vishy" aber auch mit den weißen Steinen über Remis
nicht hinaus. Kramnik schob einen Ruhigen mit Schwarz gegen Aronian, auch
hier gab es ein Remis. Wenig Feueralarm an Bord auch bei Shirov, der gegen
Kramniks Sekundanten Motylev remisierte. Nur 1/7 bisher für Shirov
- vielleicht zuviel ge"fire"t? Es gab aber doch noch Siege zu vermelden:
Veselin startete durch wie eine Tupolev und besiegte Ponomarjov. Auch Svidler
gewann - gegen Carlsen. Die längste Partie lieferten sich Lokalmatador
van Wely und Navara. Navara hatte im Turmendspiel einen Mehrbauern und
widerstand allen Tricks des Holländers: 1-0...
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Turnierhölle
in Wijk
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Indien - Aserbaidschan
1/2
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Spöl off,
Shirov - Remis gegen Motylev
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Ruslan(d) kann
den Bul(l)garen nicht (s)toppen
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Carlsen hatte
gegen Svidler das Nachsehen
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Der Lokalmatador
rechts mußte aufgeben
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Wir schnupperten noch
ein wenig Turnieratmosphäre und deckten uns mit Schachliteratur ein.
Aber auch abseits der Spielhalle war noch einiges geboten. Ganz Wijk scheint
derzeit nur ein Thema zu kennen. Endlich mal ein Ort, wo Schach allgegenwärtig
ist. Die Läden haben Schachdekorationen, die Restaurants bieten Schachmenüs
an, in den Kneipen finden sich überall Schachbretter auf den Tischen
- kurzum: Schach total. Sieht so der Himmel der Schachspieler aus?
Insgesamt bleibt nur
ein positives Fazit. Die Atmosphäre ist einfach einmalig. Wer noch
hin will: Bis zum 28.01. wird noch gespielt. Und die Rückreise gestaltete
sich denn auch ganz unproblematisch, der Routenplaner hatte diesmal sogar
recht. Nun gut, Topalov hatte ja auch gewonnen...
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"Ob ich wohl heute
abend in Wijk noch was gutes zu Essen kriege?"
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- frank modder,
21.01.07 |